: Am Freitag dürfen die Iraner erstmals seit der Revolution vor 20 Jahren ihre Kommunalverwalter wählen. Die Abstimmung ist Teil des Machtkampfes zwischen Präsident Mohammad Chatami und seinen konservativ religiösen Gegnern Aus Teheran Thomas Dreger
Iranische Machtkämpfe
Dank frischen Windes versinkt Teheran einmal nicht im Smog, dafür aber im Papier. 4.000 KandidatInnen machen vor den am Freitag stattfindenden Kommunalwahlen auf sich aufmerksam. Darunter sind sowohl bekannte Gesichter wie der Chefredakteur der auflagenstärksten Tageszeitung Hamschahri (Mitbürger), Mohammad Atrianfard, als auch kleine Lokalgrößen, die nur in ihrem Stadtteil bekannt sind.
Während die Promis auf die Wirkung ihres Namens vertrauen, verweisen weniger bekannte Gesichter auf ihre Taten: Ingenieure zum Beispiel auf die Hunderte Straßenkilometer, für die sie verantwortlich sind. Ein Fußballer ließ sich einfach im Trikot ablichten. Am Aufwand des Wahlkampfes läßt sich auch der Reichtum der Aspiranten ablesen, denn staatliche Zuschüsse gibt es nicht. Ganze 15 der KandidatInnen werden am Ende in der Schora sitzen, dem Kommunalrat der Zwölfmillionen-Stadt Teheran. Landesweit sind 200.000 Sitze zu vergeben. Für sie kandidieren 300.000 Menschen, darunter 5.000 Frauen.
Kommunalwahlen sind in der Verfassung der Islamischen Republik vorgeschrieben. Dennoch haben seit der Revolution vor 20 Jahren keine stattgefunden. Zu groß war die Furcht vor dem Volksvotum. Daß sie jetzt durchgeführt werden, liegt vor allem an Präsident Mohammad Chatami, der 1997 mit einem Erdrutschsieg an die Macht gekommen ist. Er will eine weitere wichtige Entscheidung der Bevölkerung übertragen.
Doch während nach außen alles bunt und irgendwie demokratisch wirkt, wird hinter den Kulissen hart gekämpft. Es geht um weit mehr als die Besetzung von Stadtverwaltungen. Es geht um einen weiteren Etappensieg der Reformer. Um den zu verhindern, greifen die Reformgegner zu fast allen Mitteln. Zentrales Instrument ist ein extra für die Abstimmung geschaffenes Überwachungskomitee, das über die Kandidatur entscheidet. Offizielle Kriterien sind „moralische und mentale Tauglichkeit“ sowie die Verbundenheit mit den Prinzipien der Islamischen Revolution, besonders der von Revolutionsführer Chomeini entwickelten Lehre des Welajat-e-Faqih, der Regentschaft der Kleriker.
De facto geht es jedoch häufig um politische Positionen. Weil das Gremium vom konservativ dominierten Parlament bestimmt wurde, steht es dort drei zu zwei zu Ungunsten der Chatami-Anhänger. Bis zuletzt versuchten die Konservativen, die Chatami-nahen Moderaten und Linksislamisten aus dem Rennen zu schmeißen – darunter deren Zugpferde.
Noch Anfang der Woche hieß es, das Überwachungskomitee habe in Teheran zwölf Pro-Chatami-Kandidaten disqualifiziert, darunter den Spitzenkandidaten Abdullah Nuri. Der war zuletzt Präsidentenberater. Zuvor war er der wohl moderateste Innenminister, den die Islamische Republik je hatte – deswegen auch verlor er im vergangenen Jahr sein Amt.
Nach der Streichung der zwölf Kandidaten fing das Chaos erst richtig an. Der für die Ausrichtung der Wahlen zuständige Innenminister Abdolwahid Mosavi Lari erklärte, er werde die Kandidatenlisten dennoch unverändert veröffentlichen. Dann werde man die Wahlen für Teheran halt annullieren, schallte es vom Überwachungskomitee zurück. Ein Vermittlungskomitee sollte helfen. Doch dann hieß es plötzlich, die Entscheidung zur Disqualifizierung der Chatami-Anhänger sei nur von zwei Mitgliedern des Überwachungskomitees gefällt worden, die anderen drei hätten nichts davon gewußt.
Abdullah Nuri, der inzwischen als der Reformkandidat schlechthin gehandelt wird, bleibt davon unbeeindruckt. „Ein paar Menschen haben uns disqualifiziert“, erklärt er im Mullahgewand und gibt einen Einblick in seine Strategie: „Ich habe einfach nicht reagiert.“ Seine Gegner würden immer einen neuen Anlaß finden, um ihn an der Kandidatur zu hindern, doch die Bevölkerung kenne den wahren Grund genau. Unausgesprochen bleiben die Worte „zu große Reformfreude“.
Dafür erklärt Nuri, die Kommunalwahlen bedeuteten langfristig, „eine totale Umwandlung des bürokratischen Systems des Landes“. Tausenden auf ihre Pfründen bedachte Beamte dürften bei diesen Worten schaudern. Doch Nuri sagt auch: „Wir werden mit wenig Verantwortung anfangen. Doch später werden die Kommunen sehr mächtig sein. Wir müssen weg vom Zentralismus.“ Er weiß, daß Vorsicht geboten ist. Vor kurzem wurde das Redaktionsgebäude der von ihm herausgegebenen Zeitung Chordad durch eine Bombe beschädigt. Und vorgestern schossen Unbekannte auf ein Gebäude der „Partei der Diener des Wiederaufbaus“, der wichtigsten Stütze des gemäßigten Präsidenten Chatami.
Im reichen Norden der iranischen Hauptstadt sind die Präferenzen eindeutig. Man wählt Pro- Chatami. Schließlich hat der Präsident den Menschen hier mehr Freiheiten verschafft – jedenfalls denen, die sie sich leisten können. Aus den Lautsprechern der Cafés und Imbisse schallt Musik, die noch vor wenigen Jahren als Pop auf dem Index gestanden hätte, Paare gehen händchenhaltend, ohne daß sie jemand nach ihrem Ehenachweis fragt.
Doch auch in der traditionellen Hochburg der Konservativen, dem Basar im Süden der Stadt, zeichnet sich ein Umschwung ab. Auch hier scheinen Chatamis Leute vorn zu liegen. „Der Präsident arbeitet prima“, meint ein etwa 40jähriger Juwelier. „Schade nur, daß ihm so viele Hindernisse in den Weg gelegt werden.“ Bei den Präsidentschaftswahlen habe er seine Stimme nicht abgegeben, erkärt ein Schuhverkäufer, doch jetzt, „wähle ich die Kandidaten, die den Präsidenten unterstützen“. Beim zweistündigen Streifzug durch das alte Handelszentrum Teherans ist kein einziger Anhänger der Konservativen aufzutreiben. „Alles Unsinn“, erklärt dafür ein Händler auf die angebliche konservative Grundhaltung der Basaris angesprochen. Natürlich hätten auch 1997 hier die meisten Chatami gewählt, schließlich „müssen dessen 20 Millionen Stimmen ja irgendwo hergekommen sein“.
„Der Basar hat sich verändert“, meint eine 37jährige Lehrerin auf der Suche nach neuen Gardinen. „Die alten Basaris sind entweder im Ruhestand oder tot.“ Ihre Geschäfte würden jetzt von den Söhnen betrieben, und die denken pragmatisch. Nein, er werde nicht wählen gehen, meint ein junger Geschäftsführer, denn: „Die haben 20 Jahre lang unser Land ruiniert, und jetzt soll die Bevölkerung plötzlich die Verantwortung übernehmen.“ Und einem anderen hat das alles zu wenig mit Kommunalpolitik zu tun. „Linken wie Rechten geht es nur darum zu zeigen, wer der Stärkere ist“, meint er.
„Linke“, „Rechte“, „Moderate“, „Konservative“ – das waren früher im offiziellen Sprachgebrauch verpönte Kategorien. Trotz Differenzen wollten die an die Macht gekommenen Revolutionäre jeden Zweifel an ihrer grundsätzlichen Einheit ausräumen. Heute ist das anders. „Wir sprechen von Fraktionen“, erklärt der für Journalisten zuständige Beamte im Ministerium für Kultur und Religiöse Führung, „die Zeitungen sind voll von solchen Begriffen.“ Mit Linken seien „natürlich keine Kommunisten“ gemeint, sondern Linksislamisten, und für Moderate tauge in westlicher Terminologie wohl eher der Begriff Liberale. Doch der sei verpönt.
Auch schärfere Kritiker der Verhältnisse in der real existierenden Islamischen Republik setzen inzwischen auf die Leute um den Präsidenten. „Zum ersten Mal seit 20 Jahren werde ich wählen gehen“, erklärt ein Schriftsteller, dessen Name sich auf einer in Teheran kursierenden und vermutlich in Kreisen der Staatsführung verfaßten Todesliste findet. Seine Hoffnung heißt Abdullah Nuri. „Ich war noch nie in der Islamischen Republik wählen, und dabei bleibt es auch“, meint dagegen verbittert eine Kollegin, die in der gleichen lebensgefährlichen Lage ist.
Trotz der Präferenz der TeheranerInnen für das Reformlager wagt kaum jemand eine sichere Prognose über den Wahlausgang. Denn die Landbevölkerung ist erheblich konservativer als die Großstädter. In Dörfern und Kleinstädten fällt zudem die Wahlentscheidung weniger nach politischen, denn nach familiären oder sonstigen traditionellen Kriterien. Die Zahl der Kandidaten ist erheblich geringer als in Teheran und das Interesse an der Abstimmung wohl auch. Das Ergebnis wird auf sich warten lassen. Denn für die Auszählung der Stimmen werden mindestens sieben Tage veranschlagt.
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