Hamburgs GALier – desorientiert

■ Heute will die GAL eine neue Parteichefin wählen. Die Frage ist nur, welche. Antje Radckes Wechsel zur Bundespartei hat bei Hamburgs Grünen ein eklatantes Führungsdefizit offenbart

Hamburg (taz) – „Wir sind nicht an der Macht, nur an der Regierung“, sagt Peter Schaar. Der Landesvorstandssprecher der Grün- Alternativen Liste (GAL) in Hamburg ist, das Zitat frei nach Tucholsky läßt es ahnen, Realo durch und durch. Die Grünen in Bonn wie in Hamburg müßten aus dem Desaster der Hessenwahl vor allem eines lernen, meint Schaar: Den WählerInnen zu vermitteln, „daß wir den Aufgaben handwerklich gewachsen sind“.

Keine schlechte Idee, Arbeit gäbe es zuhauf. Die Grünen von der Elbe hatten bei der Bürgerschaftswahl im September 1997 mit 13,9 Prozent zwar ihre Stellung als stärkster grüner Landesverband der Republik gefestigt. Der Aufstieg der linken Hamburger Parteichefin Antje Radcke im Dezember letzten Jahres an die Spitze der Bundesgrünen offenbart aber ein eklatantes Führungsdefizit in der Partei. Die gewohnten GALionsfiguren der Realos, Krista Sager und ihr Chefdenker Willfried Maier, sitzen als SenatorInnen in Amt und Würden, aber eben auch weit entfernt von der Basis. Und Schaar, seit gut einem Jahr einer der beiden Parteichefs, profiliert sich nur sachte.

Die Führungsfrauen der Linken sind gar völlig entschwunden: Radcke ging nach Bonn; Anna Bruns, die 61jährige Mutter fürs linke Gemüt, trat bereits im April vorigen Jahres aus Frust über die Regierungspolitik als Vizechefin der Bürgerschaftsfraktion zurück und privatiert seitdem. Im Problemquadrat aus Führungsdefizit, Bewahrung grüner Identität, Abwehr ungebrochener sozialdemokratischer Selbstherrlichkeit und der Rollenfindung als Regierungspartei in der größten Industriestadt Deutschlands paddelt die GAL desorientiert herum und streitet sich über Personen, Posten und auch ein bißchen übers Programm.

Erste Richtungsentscheidungen sind heute zu erwarten. Auf einer Mitgliederversammlung soll eine neue Parteichefin gewählt und die grüne Profilierung gefördert werden. Bloß welche?

Für heftigste Streitereien sorgt der Anspruch der Parteilinken, die Nachfolgerin Radckes selbst zu bestimmen. Seit sie die in Hinterzimmern gekürte Kandidatin Kordula Leites, eine 38jährige Doktorandin der Sportwissenschaften, Anfang des Monats präsentierten, wird Tacheles geredet. Das sei „Kaderpolitik“, schimpft der Realo-Flügel, und eine „undemokratische Beschneidung des freien Wahlrechts der Basis“. Die Realos wollten „durchzocken“, befürchten wiederum die Linken, und auch den zweiten Chefsessel neben dem von Peter Schaar besetzen.

Ganz so eindimensional ist der Kampf um Posten und Proporz allerdings nicht. Die laut Selbsteinschätzung „unabhängige“ Sabine Grund erklärte dieser Tage, ebenfalls Parteichefin werden zu wollen. Die 36jährige Doktorandin der Politikwissenschaften kann auch auf Stimmen quer durchs nicht linke Lager hoffen. Denn die dritte Kraft in der GAL sieht dem Flügelschlagen, das an die Grabenkämpfe der frühen 80er Jahre erinnert, mit Schaudern zu: Die strömungsunabhängigen Gruppierungen, allen voran der ImmigrantInnenverband ImmiGrün und die Grüne Jugend, werden den Ausschlag geben.

In welche Richtung, gilt als offen: „Ich bin genervt“, gesteht zum Beispiel die Abiturientin Rachel Jacobsohn, die für den grünen Nachwuchs Beisitzerin im Landesvorstand ist. Diese „Streitereien unter Leuten, die meine Eltern sein könnten“, hätten weder mit Politik noch mit Programm, noch mit Profil allzuviel zu tun. Und somit auch keine Perspektive. Die aber wäre bitter nötig.

Seit Bildung der rot-grünen Hamburger Koalition im November 1997 erschöpft sich grüne Politik in Abwehrkämpfen gegen sozialdemokratische Begehrlichkeiten. Eigene Akzente sind kaum mehr als blaßgrün. In der Verkehrs- und Industriepolitik gelingt es der GAL kaum, die schlimmsten ökologischen Folgeschäden der SPD-Politik zu lindern. Mit der Hafenerweiterung in Altenwerder und dem Bau der vierten Elbtunnelröhre werden Symbole grünen Kampfes be- und untergraben. In Sachen Atomausstieg akzeptiert SPD-Regierungschef Ortwin Runde fast widerspruchslos die Blockadehaltung der Hamburgischen Electricitätswerke (HEW) und ihres Chefs Manfred Timm, der sich schlicht weigert, aus einem seiner vier Atomkraftwerke an der Elbe auszusteigen.

Das alles, finden nicht wenige GALier quer durch alle Flügel, Strömungen und Cliquen, muß sich ändern. Der Wind in der rot- grünen Koalition müsse „deutlich rauher werden“. Der ungeschriebene Teil der Hamburger Koalitionsvereinbarung, wonach bis zur Bundestagswahl nicht gegarzweilert wird, sei nun erledigt.

Für echte Hanseaten, zumal sozialdemokratischen Typs, kein Grund zur Sorge. Nach jeder steifen Brise, das wissen Norddeutsche, weht auch wieder ein laues Lüftchen. Sven-Michael Veit