: Obergenosse Scherf: „Das ist doch toll“
■ Auf dem Landesparteitag feierte die Bremer SPD ihren Spitzenkandidaten, der es schafft, sich gleichzeitig als Landesvater aller Bremer und als Partei-Vater aller Sozialdemokraten zu fühlen
Als der Bremer Wirtschaftssenator vor zwei Jahren 5,5 Millionen Mark spendierte, damit auf den Flughafen eine repräsentative Glashalle gebaut werden konnte, da ahnte er sicherlich nicht, daß Bremens Bürgermeister Henning Scherf hier den Startschuß in den Wahlkampf 1999 abgeben würde. Vor der Kulisse der „Bremen“, eines historischen Junkers-Flugzeuges, und einiger Raumfahrt-Exponate versammelten sich am Samstag die Parteitagsdelegierten und identifizierten sich damit sichtbar und ausdrücklich mit der „Erfolgsgeschichte“ am Airport. „Mit den erkennbaren Erfolgen der letzten vier Jahre wuchern“, das war die Parole, die Scherf für den Wahlkampf ausgab, „unseren Anteil daran sichtbar machen.“
Bevor Henning Scherf den Delegierten mit den „sichtbaren Erfolgen“ der letzten Jahre Mut machte, nannte er wie ein guter Familienvater die verlorenen Schafe beim Namen. Die „Bremen-Halle“ ist viel zu klein für Tische und Unterlagen. Wie in einem Schauspiel saßen sie dicht da und Henning Scherf kam ihnen durch den Mittelgang ganz nah, suchte „Peter“ – „ein richtiger Schatz“, „Elke“ – die „alte Freundin“, „Heinz“ und „Carlo“ – „Fels in der Fraktion“ und „Sabine“ und hatte für jede und jeden, die nicht mehr aufgestellt worden waren, rührende Worte. „Offensiv damit umgehen“ sollten die Abgewählten, bat sie Scherf. Und dann gab es doch einen Zwischenruf, er solle damit aufhören. „Könnt ihr das nicht aushalten?“ fragte er zurück und machte die Reihe bis zum Ende durch, Name für Name, „habe ich jemanden vergessen?“ Zwar war die neue Kandidaten-Liste zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht beschlossen, aber was interessiert denn das einen Henning Scherf.
Scherf suchte mit seiner ganzen Autorität, aufgerissene Wunden zu heilen, und dann freute er sich über die Erneuerung. „Innovation – das fängt bei uns selber an“, erklärte er. Andreas Kottisch, der Unternehmer, wolle mitmachen, und Elke Kröning sei zurückgekehrt. Jeder müsse zu seinen Nachbarn und Kollegen sagen: „Wir brauchen dich, alleine kriegen wir es nicht hin.“ Und das bezieht sich dann auch gleich auf das Bundesland Bremen in seinem Überlebenskampf. „Ich bin da ganz, ganz optimistisch.“ Auch dafür „brauchen wir alle“, meinte er: die CDU, Partner der „guten Arbeit“ der vergangenen Jahre, die „Texas-Millionäre“, die ihre Kinder demnächst nach Bremen zum Studium schicken, „und wenn die FDP wieder aufwacht, ist doch toll ...“
Und Scherf fing die klassischen sozialdemokratischen Motive wieder ein: „Wir wollen nicht in einen Porsche steigen und die anderen vergessen“, nein, „wir möchten gerne integrieren“, auch die sozial Schwachen und die ausländischen Mitbürger. Auch da hatte jeder die aktuelle Erfolgsgeschichte im Kopf. Die CDU auf klassische sozialdemokratische Art beschimpfen? „Wir müssen die durch unser positives Beispiel in die Defensive bringen“, erklärte Scherf seine Idee von Politik.
Meinungsstreit um das Wahlprogramm konnte es nach diesem Wahlkampf-Auftakt nicht mehr geben. Sogar die Ablehnung der Bebauung der Osterholzer Feldmark bleibt SPD-Programm – obwohl die Fraktion in der Bürgerschaft da zur Zeit noch anderes vorhat. Und auch die Kandidaten-Liste ging bei der Abstimmung einmütig durch, die unterlegenen BewerberInnen waren ja schon stilvoll verabschiedet. K.W.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen