: Kann der Fußball noch so sein?
Kein anderes europäisches Spitzenteam spielt so aufregend offensiv wie Manchester United. Läßt sich aber so die Champions League gewinnen? Experte Heynckes sagt: nein ■ Von Ronald Reng
Manchester (taz) –Andy Cole trägt ein Lachen auf der linken Brust. Eine fröhlich grinsende Theatermaske ist dort eintätowiert – das Gesicht der Komödie.
Morgen abend, wenn Inter Mailand im Viertelfinale der Champions League bei Manchester United antritt (20.30 Uhr, live, Premiere digital3), soll das Gesicht wieder zu sehen sein im Theater der Träume, wie sie in Manchester ihr Stadion nennen. Als sei es ein Lustspiel, spielt United Fußball scheinbar sorglos nach der Devise „wir stürmen, ihr stürmt“, sagt Angreifer Cole. „Ein Kumpel rief mich kürzlich an und sagte: ,Wie Kinder auf dem Schulhof in der großen Pause‘“. 20 Tore schoß United allein in der Europapokal- Vorrunde, das ist Rekord. Derart offensiv spielt auf höchstem Niveau keine andere Mannschaft. „Wir sind immer im Angriff“, sagt Cole. „So muß Fußball sein.“
Wirklich? Karlheinz Riedle, durch dessen zwei Tore im Finale 1997 Borussia Dortmund die Champions League gewann, traut United jeden Erfolg zu. „Die wissen, wo das Tor steht“, sagt der Stürmer des FC Liverpool. Der deutsche Trainer Jupp Heynckes dagegen, der 1998 mit einer taktischen Meisterleistung Real Madrid zum Sieg im bedeutendsten Vereinswettbewerb der Welt führte, sagt: „So wie United spielt, können sie den Europacup nicht gewinnen.“ Die Rasanz, das Risiko und die Schönheit in Manchesters Spiel, die Riedle preist, begeistere auch ihn, sagt Heynckes und fügt hinzu: „als Fan, nicht als Trainer“. United fehle die nötige defensive Organisation, sagt er, obwohl der 13malige englische Meister im Niederländer Jaap Stam und dem Iren Roy Keane exzellente zerstörerische Kräfte besitzt.
Doch wird Uniteds Abwehr zu oft Opfer des eigenen Tempos. Permanent schnell und direkt spielen sie den Ball nach vorne, „britische Energie mit geradezu südländischer Eleganz“, bemerkt Inter Mailands Außenstürmer Youri Djorkaeff, wunderschön, wenn es klappt – und wenn nicht? „Dann gibt es Ärger“, weiß Inters Verteidiger Javier Zanetti. Wenn sie den Ball verlieren, bleibt keine Zeit, die Defensive zu ordnen, weil fünf, sechs Mann in Angriffspositionen sind. Dem Gegner bieten sich riesige Räume zur Entfaltung.
„United fehlt die Geduld, mal das Spiel zu beruhigen und vorsichtig aufzubauen“, sagt Heynckes. Der Trainer erinnert sich an einen Fernsehabend im vergangenen November, ein atemberaubendes 3:3 zwischen FC Barcelona und United in der Champions-League- Vorrunde. Unaufhörlich versuchte Uniteds Offensive, angeführt von Andy Cole und Sturmpartner Dwight Yorke, bei Ballbesitz Barcelonas den Gegner bereits tief in dessen Spielhälfte zu jagen.
„Ein phantastisches Pressing“, sah Riedle. „Die haben immer attackiert“, bestätigt Heynckes, „nur machte es nicht immer Sinn“. Oft sei Uniteds Abwehr so weit von Yorke und Cole entfernt gewesen, daß sich die Stürmer auf der Jagd nach dem Ball aufrieben, Barcelonas Verteidiger jedoch problemlos freie Anspielpartner fanden.
Heynckes zeigt das, daß es United an „taktischer Finesse“ mangele. Inter Mailands Trainer Mireca Lucescu sieht es ähnlich. Unflexibel im Spielsystem, mit der Verteidigung starr auf einer Linie, leite United den Ball meist auf die Flügel zu David Beckham und Ryan Giggs, sagt Lucescu. „Immer das gleiche, und deshalb vorhersehbar“ sei das. Und trotzdem oft so gut, daß auch der Schaden für den Gegner absehbar ist. 41 Tore (Yorke 22, Cole 19) haben die beiden in dieser Saison bereits fabriziert. „Das Beste, was Europa zu bieten hat“, sagt Riedle, und da kann selbst Lucescu, der Ronaldo und Roberto Baggio im Kader hat, kaum widersprechen.
„Wie ein Calypso“, ein ausgelassener karibischer Tanz, sei seine Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Krabbenfischer Yorke aus Trinidad, sagt der Engländer Cole. 36 Millionen Mark bezahlte United, um Yorke zu Saisonbeginn vom Konkurrenten Aston Villa auszulösen. Trainer Alex Ferguson wußte, daß er dafür einen außergewöhnlichen Stürmer bekommen würde, tatsächlich aber bekam er zwei: Mit Yorke an der Seite offenbart Cole seine ganze Klasse. „Das konnte ich nicht ahnen“, sagt Ferguson, „aber Cole hat sich die Gelassenheit von Yorke abgeschaut. Yorkie, was für eine Persönlichkeit! Er lacht, wenn er die größten Chancen vergibt.“
Vor zwei Jahren scheiterte United dramatisch im Halbfinale, vergangene Saison gnadenlos im Viertelfinale – der fröhliche Pausenhof- Fußball läuft stets Gefahr, in Enttäuschung zu enden. Andy Cole weiß es. Auf seiner linken Brust ist noch eine zweite Maske tätowiert, mit hängenden Mundwinkeln: neben dem Gesicht der Komödie das Gesicht der Tragödie.
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