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Gegen die Redaktionslinie

Das Fotomuseum Winterthur zeigt eine Retrospektive mit den Arbeiten von Eugene W. Smith, einem Pionier des engagierten Fotojournalismus in den USA  ■ Von Joachim Schwitzler

Mit einem weißen Kopftuch bedeckt hockt eine Mutter im Zuber und badet liebevoll ihre zwölf Jahre alte Tochter. Das Kind kann seine Mutter nicht sehen: Mit weit aufgerissenen Augen starrt es zur Decke, die Hände sind verkümmert und ruhen ungelenk am Leib, die Beine sind Beinchen.

Das Foto, das Eugene W. Smith 1972 von der kleinen Tomoku Uemura machte, wurde zur Ikone. Als Teil einer Serie zeigt es die Opfer industrieller Interessen auf der japanischen Fischerinsel Minamata. Hintergrund der eindrücklichen Reportage von Smith waren die jahrzehntelangen, stillschweigend geduldeten Quecksilbereinleitungen in die Bucht, aus der die Fische stammten – 1969 wurde die verantwortliche Firma vor Gericht gestellt. Mit rund 160 Schwarzweißfotos widmet nun das Fotomuseum Winterthur dem Pionier der modernen Reportagefotografie eine beachtliche Retrospektive.

Ästhetisch war Smith ein Fundamentalist und in der praktischen Arbeit ein Perfektionist – was häufig zu eigenem Verdruß und zu dem seiner gutgestellten Auftraggeber führte. Daher verwundert es nicht, daß die gezeigten Originalabzüge von ihm selbst hergestellt wurden oder aus seinem Archiv im Center for Creative Photography in Tucson, Arizona, stammen. Smith wurde 1918 in Wichita, Kansas, geboren. Seine Mutter war eine leidenschaftliche Amateurfotografin, sein Vater ein wohlhabender Getreidehändler. Über seine Kindsliebe zu Flugzeugen gelangte er zum Fotografieren. Nach dem Tod seines Vaters, der sich 1936, durch die Weltwirtschaftskrise ruiniert, das Leben genommen hatte, wandte sich Smith bald völlig der Fotografie zu. Er arbeitete zunächst für Newsweek und wechselte, weil er die Kleinbildfotografie beibehalten wollte, zur damals für Freelancer wichtigsten Agentur Black Star. Doch statt authentischer Fotogeschichten fand er dort vielfach bloß gestellte, künstlich beleuchtete Aufnahmen.

Sein nächstes Engagement bei Life war eine Verbindung mit Haken und Kanten: Wiederholt versuchte Smith, auf die Qualität und das Layout seiner Abzüge, die durch die Zeitschrift angefertigt wurden, Einfluß zu nehmen – oft vergeblich. Zwischen 1939 und 1942 führte er 170 Fotoreportagen für Life aus, von denen nur 81 abgedruckt wurden. Zum endgültigen Bruch mit dem Magazin kam es schließlich aufgrund seines Essays über Albert Schweitzer. In dem elsässischen Pfarrer, Arzt und Friedensnobelpreisträger von 1952 stieß Smith auf einen engstirnigen, autoritären Charakter: Schweitzer duldete allenfalls arrangierte Szenen, der Fotograf dagegen wollte ungestellte Sujets. Gegen das Afrikabild des in Lambarene lebenden Arztes entschied sich Smith für die Nebenschauplätze, doch bei der abschließenden Bildauswahl von Life hatte er keine Stimme.

Die Entstehung großer amerikanischer Informationsmagazine in den 30er Jahren, allen voran das 1936 von Henri Luce gegründete Life, war eine hundertprozentige Chance und experimentelles Betätigungsfeld zugleich für eine Reihe junger, aufstrebender Fotografen wie etwa Eugene Smith, Robert Frank, Walker Evans oder Dorothea Lange. Die Dreißiger waren aber auch die Zeit, als man bildjournalistisch an einen Scheideweg gelangte – welchen Wert gab man dem unverfälschten authentischen Dokument? Wie nahe durfte man dem Sujet kommen, ohne die objektive Distanz zu verlieren? Auf jeden Fall wurde bald klar, daß die sogenannten Ikonen des Bildjournalismus wie Langes „Migrant Mother“ 1936 oder Jewgeni Chaldejs berühmtes Foto von der sowjetischen Beflaggung des Reichstags 1945 mehr oder weniger manipuliert waren.

Eugene Smith nahm dazu unmißverständlich Stellung – als Bildkriegsberichterstatter. Anfänglich noch in der Distanz der Flugzeugträger und Aufklärer, vertauschte er diese mit einem Leben bei den Bodentruppen in den vordersten Frontabschnitten. Zwischen dem Heldenfoto von Bomberkanonieren, die vor einer hellen Sonne in „Top Gun“-Manier auf der Tragfläche stehen, und seinem Bild eines im Sand liegenden, halbverkohlten japanischen Soldaten oder Aufnahmen fliehender, verängstigter Zivilisten liegen Welten. Mitunter ging der sozialkritische Fotograf auch seinen Auftraggebern zu weit: Die Reportagen „Großbritannien“ und „Haiti“ wurden nicht abgedruckt, weil ihre Sicht nicht mit der redaktionellen Linie von Life konform ging.

Zeitlebens träumte Smith vom „Big Book“, dem eigenen, totalen Fotobuch. Mit seiner Reportage „Pittsburgh“, ursprünglich als Auftragsarbeit 1955 für die Münchner Illustrierte Zeitung geplant, wäre ihm dies beinahe gelungen. Andererseits überforderten die etwa 11.000 Negative in verschiedenen Formaten seine Auftraggeber und trieben ihn selbst in tiefe Armut und in eine schwere Familienkrise. Smith starb 1978 in Tucson, Arizona, an Hirnschlag.

Bis 14.3., Fotomuseum Winterthur

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