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Die Spätausgabe

■ "Late Show"? Während deutsche Medien die mediale Medienkritik noch üben, ist das Genre Spätschau für Amerikaner längst ein alter Hut

Ganz hinten im Presseheft zu Dietls Fehlschlag, dort, wo die Mercedes Benz AG, die Kodak, das Kopierwerk Arri und die Filmförderer abgedruckt sind, findet sich ein 4 x 1 cm kleiner Aufkleber, der sichtlich in Eile, nach Drucklegung und vermutlich per Hand aufs Papier gepappt wurde. Schwarz auf weiß steht dort einer der Gründe, warum der Film in seinem Anliegen so kläglich scheitert: „Eine Diana Filmproduktion in Zusammenarbeit mit dem WDR“.

Mag sein, diese simple Botschaft bedeutet zunächst schlicht: Geld! Satte 30 Prozent der Produktionskosten nämlich (was umgerechnet wohl einem prallgefüllten Banknoten-Köfferchen entspricht). Doch hat die öffentlich- rechtliche Televisionsanstalt die Millionen in eine kinematographische Fiktion investiert, die uns weismachen will, sie enthülle lustig und mutig, wie's zugehe hinter den Kommerzfernsehkulissen. Und weil ein paar tüchtige PR-Werktätige ganze Arbeit geleistet haben, staunt und überschlägt sich alle Welt, obwohl die aufgescheuchten (bislang aber nur müde in die Kinos strömenden) Zuschauerscharen doch bloß in einer 111minütigen Führung durch die Attrappen einer medialen Geisterbahn geschleust werden, in der das Kino (im Pakt mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen) einen pantoffeligen Erzfeind namens „Privat-)Fernsehen“ anpißt. Mehr ist nicht.

Wer sich indes fürs Fernsehen interessiert, muß zu Hause bleiben. Und fernsehen. Oder besser noch: ...hätte fernsehen sollen.

Denn so neu und niedagewesen „Late Show“ auch tut: RTL hat das prima Thema im vergangenen Jahr bereits in rund 2.500 Sendeminuten durchdeklinieren lassen. „Die Larry Sanders Show“ hieß die US- Serie, die in werktäglich wohldosierten 30-Minuten-Happen, immer nächtens um eins, wenn uns die Lider schwer sind und selbst die tägliche „Harald Schmidt Show“ schon Geschichte ist, den rund 200.000 verbliebenen RTL-Zuschauern einen Blick auf die verzwackte Trostlosigkeit vor und hinter der Studiobühne einer fiktiven kalifornischen Late Night Show gewährte. Lehrreicher, doppelbödiger und amüsanter als „Die Larry Sanders Show“ konnte Fernsehen am Ende des 20. Jahrhunderts kaum sein.

Nun ist die die echte Late Show in den USA ja nur ein ebenso etabliertes Format wie hierzulande die Vorabendserie (und kein Einzelstück, das nur deshalb überlebensfähig ist, weil das ganze große Deutschland gerade mal einen einzigen brauchbaren Late-Nighter hervorgebracht hat). Wenn es dunkel wird in New York und Los Angeles, drängeln sich seit Jahren die Spät-Shows in die Kanäle. Andererseits aber will die „Larry Sanders Show“ die Realität beileibe nicht, wie Dietl, veralbern, vereinfachen und verharmlosen, sondern die Zermürbung und Zerfleischung selbstironisch veröffentlichen: Bei Lary Sanders war der Late-Show-Gastgeber eben keine Unschuld vom Landfunk, sondern ein derart eitler Schleimer, daß einem selbst Harald Schmidts süffisant zuckende Mundwinkel nicht mehr glaubwürdig erscheinen; sein sidekick (eine Art hofnärrischer Co-Moderator und Stichwortgeber) war ein seelisches Wrack; kein Programmchef (absurd!) lungerte im Studio; und niemand in diesem Kabinett der Egomanie sagte: „Ich bin eine miese intrigante Schlange“ o.ä., weil's keiner nötig hatte – nicht einmal die zahlreichen Promis aus dem wirklichen Leben, die sich bei Sanders ein meist wenig schmeichelhaftes Stelldichein gaben. Sechs Jahre lang zeigte der US-Sender HBO die authentische, mehrfach preisgekrönte TV-Simulation, bis interne Real-Life-Querelen dem durchtriebenen Treiben im Mai 1998 ein Ende machten – und subtile Nebenhandlungen, wie z.B. jene Behauptung, daß Sanders mit der lesbischen US-Komikerin Ellen DeGeneres geschlafen habe, Vergangenheit sind.

Anders gesagt: „Die Larry Sanders Show“ ist, wie wenn Deutschlands Late-Night-Moderator in einer öffentlich-rechtlichen Gesprächsveranstaltung am Sonntag abend plötzlich abschweift und säuselt: „Ich hab' jetzt ein Angebot im Zusammenhang mit der ARD aus Hollywood. Ich soll im Vorabendprogramm den Mann von Karin Göring spielen.“ Versuchen Sie mal, einem Außerirdischen – oder ihrem (vietnamesischen?) Nachbarn – diesen Satz zu erklären, und Sie sind bis ins nächste Jahrtausend beschäftigt!

Und vielleicht hat das deutsche Fernsehen bis dahin ja auch keine Angst mehr vor sich selbst. Christoph Schultheis

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