Die Abwicklung der Kulturpolitik

Das Kulturressort kann eigentlich dicht machen, glaubt  ■ Brigitte Schulte-Hofkrüger

Es roch am Dienstag abend im Rathaus nach Friede, Freude, Eierkuchen. Die Kulturpolitische Gesellschaft wollte den beiden losen Vereinigungen „Anstoß“ und „Kulturrat“ den schon im Herbst zuerkannten Preis für ihr Engagement gegen die McKinsey-Pläne jetzt auch aushändigen. Kurzum: eine Feierstunde war angesagt. Nach dem üblichen Schema: Da hält man vor dem obligatorischen Fototermin Reden, läßt sich loben und bedankt sich artig. Und in der letzten Reihe sitzen die Lästermäuler und machen sich darüber lustig, daß meistens Leute zum Mikrophon greifen, denen die Gabe der Rede nicht gegeben ist. Doch dann trat eine Rednerin ans Mikrofon, der war gar nicht nach feiern zumute. Die Kulturrats-Sprecherin Brigitte Schulte-Hofkrüger zog nach fast vier Jahren großer Koalition und 15 Monate nach der Vorlage des McKinsey-Gutachtens über die Bremer Kulturförderung eine ernüchternde Bilanz des kulturpolitischen Ist-Zustandes in Bremen und wurde dafür mit stürmischem Beifall belohnt. Wir dokumentieren die Rede in Auszügen ( ck ).

Die Verleihung des Kulturpreises der Kulturpolitischen Gesellschaft hat uns sehr gefreut. Gefreut haben wir uns besonders darüber, daß der Preis an zwei Kulturinitiativen vergeben wurde, die – trotz unterschiedlicher Zielsetzungen, Schwerpunkte und Aktivitäten – das Gemeinsame ihrer Kritik am McKinsey-Gutachten in den Vordergrund gestellt haben. Die Gemeinsamkeit bestand jedoch nicht nur in der Ablehnung der von MkKinsey unterbreiteten Vorschläge, sondern vor allem in der Überzeugung, daß Kultur in Bremen von seiten der politisch Verantwortlichen in den letzten Jahren nicht in ausreichendem Maße in ihrer „originären“ Bedeutung, die sie für die Stadt hat, begriffen wird. Und „originär“ meinte einen bewußt zu gestaltenden Wahrnehmungs-, Reflektions- und Diskussionsprozeß.

Die Auseinandersetzung über das McKinsey-Gutachten ist nicht die erste kulturpolitische Debatte in Bremen, sondern ist vor dem Hintergrund einer jetzt zehnjährigen Geschichte von kulturpolitischen Diskussionen und Aktivitäten zu sehen. 1989 haben sich zum ersten Mal Kulturschaffende in die Kulturpolitik eingemischt. Daraus entstand 1991 der Bremer Kulturrat.

Ein besonderes, vielleicht ein besonderes Bremer Kennzeichen war diesem in seinen Organisati-onsstrukturen eher unorthodoxen Engagement eigen: Sowohl die großen Kulturinstitutionen als auch die freien Projekte und die soziokulturellen Einrichtungen zogen gemeinsam an einem Strang. Das hat zweifelsohne auch die lebendige Hartnäckigkeit der Debatte in den letzten Jahren mitbestimmt.

McKinsey und die derzeitigen Strukturveränderungen sind für uns nur der jüngste Akt eines Stückes: Das Stück ist – wie es scheint – noch lange nicht zu Ende.

Der erste Akt in der laufenden Legislaturperiode war geprägt von den Angriffen auf das angeblich zu teure und ineffektive Bremer Theater. Der zweite Akt stellte sich dar als hauptsächliche Beschäftigung mit den Beschlüssen zur Haushaltssanierung. Ohne Pause folgte dann der dritte Akt mit der Auseinandersetzung über das McKinsey-Gutachten mit einem nahtlosen Übergang zum augenblicklich stattfindenden vierten Akt, in dessen Mittelpunkt die Umsetzung der modifizierten McKinsey-Empfehlungen steht. Vor einem Jahr haben die vier von „Anstoß“ beauftragten Gutachter ihr Gegengutachten vorgestellt. Das Erfreuliche war, daß der Senat und die Ressortspitze sich den Ergebnissen der Gegengutachten gegenüber offen gezeigt haben und die ursprünglichen Planungen verändert wurden.

Was ist seitdem geschehen? Was ist aus den großen Worten partnerschaftlicher Austausch, demokratische Beteiligungsformen, gar: neue Kultur des Reformprozesses geworden? (...)

Eine Diskussion über den zentralen und strittigen Punkt der Kontrakte bzw. der gesamten McKinsey-Diskussion, die Verknüpfung von inhaltlichen Zielen der Einrichtungen und wirtschaftlichen Kennzahlen und Planwerten findet bis heute nicht statt. Und das ist desto ärgerlicher, da die „Kontrakte“ uns ja als qualitative Verbesserung der Situation nahegebracht worden sind. Von Planungssicherheit, die in allen Debatten auch von Seiten der hiesigen Kulturpolitiker als unabdingbare Voraussetzung für sinnvolles Arbeiten angesehen wurde, scheint heute niemand mehr zu sprechen. Während die großen Institute damit schon schwer zurecht kommen, hängen die kleinen und freien Projekte nach wie vor gänzlich in der Luft. Damit wird zum wiederholten Mal die Schieflage der kulturellen Förderstruktur in Bremen wie eine Altlast mitgeschleppt. Mit anderen Worten: Bremer Kulturpolitik buchstabiert sich in den letzten Jahren als Beschäftigung mit Kürzungen und Organisationsstrukturen und ist nichts anderes als eine Verwaltungsreform. Das als kulturpolitisches Reformvorhaben verkaufen zu wollen, ist absurd!

Die entscheidende Aufgabe, die selbst im McKinsey-Gutachten angemahnt worden war, ist bis heute nicht angepackt worden: nämlich die Entwicklung von kulturellen Leitbildern, von Zielen und Konzepten. Die Hartnäckigkeit, mit der man sich dieser Aufgabe verweigert, läßt nur einen Schluß zu: McKinsey wurde als „betriebswirtschaft-liches“ Rationalisierungsinstru-ment ins Leben gerufen und wirkt in der Folge als Mittel der Eliminierung eines öffentlichen Kulturauftrags durch Privatisierung der Förderungsstrukturen.

Wo ist die selbstbewußte Kulturpolitik, die ihre Forderungen ohne Rückgriff auf Hilfsargumente artikuliert? Gérard Mortier, der Intendant der Salzburger Festspiele, hat in einem Vortrag im Bremer Schauspielhaus über die Notwendigkeit der Förderung von Kunstproduktion als Zentrum von Kulturpolitik referiert. „McKinsey light“, wie es eine Bremer Tageszeitung treffend bezeichnet hat (die taz, Anm. d. Red.), reicht als Antwort nicht aus. Gelingt es nicht, zu kulturpolitischen Orientierungen zu kommen, wäre es nicht verwunderlich, wenn irgendwann mal die Frage nach der Legitimation eines Kulturressorts überhaupt gestellt würde. Der schrumpfende Kulturetat erhöht ohnehin die Attraktivität der Wirtschafts-, Finanz- und Tourismustöpfe, und es drängt sich die Frage auf: Sollte nicht der Senator für Wirtschaft in Zukunft für die gesamte Kulturförderung in Bremen zuständig sein? Wie gesagt, das Stück ist noch nicht zu Ende.

Die Autorin ist Musikerin und unter anderem im Kulturrat aktiv