: Eine Haupt-, aber keine Staatsaktion
■ Das Dresdner Societätstheater, ein historisches Dilettantentheater, wurde wiedereröffnet – als Bürgerbühne für osteuropäische Gastspiele und Experimente der Dresdner freien Szene
Die Hauptstraße in der Dresdner Neustadt ist eine dieser radikalen DDR-Plattenbau-Fußgängerzonen, die heute im Glanz der überall gleichen Geschäfte strahlen. Wenn man an der Dreikönigskirche in eine schmale, versteckte Seitenstraße einbiegt, steht man wiederum vor neu aufgeputzter alter Pracht. Am Rande eines jetzt noch etwas mickrig wirkenden Barockgärtchens strahlt ein zweigeschossiges Gartenhaus mit klar gegliederter barocker Fensterfront. Zwischen 1778 und 1832 wurde hier im Haus eines Regierungskanzlisten ein gemeinnütziges, bürgerliches Dilettantentheater betrieben. Schon im Namen führte es sein Grundanliegen vor: Societätstheater.
Gegründet 1776, war es als „Gesellschaft längst verbundener Freunde, die bey gleichem Geschmacke an der Kunst und bey ähnlichen Trieben zur geselligen Freude“ eine der damals rund zwanzig sogenannten Laienbühnen im Taschenformat, die in Deutschland Schauspiele, Singspiele und kleine Opern aufführten. Es war ein Zusammenschluß von rund fünfzig Hofbeamten, Kaufleuten, Gelehrten und Dichtern, die im Namen von Aufklärung und Geselligkeit ihr Theaterspiel verstanden als Beitrag zu einer moralischen Schaubühne und Geschmacksbildungsanstalt für das Bürgertum.
Von dieser Theaterbewegung ist nur das Dresdner Gebäude, das vom Societätstheater als dritte und dann endgültige Spielstätte bezogen wurde, erhalten geblieben. Allerdings nur als Ruine, die zu DDR-Zeiten geplanten Neubauten weichen sollte. DDR-(Gemein-)Bürgersinn rettete dieses Gebäude, indem sich Dresdner Bürger zusammenfanden, die in Eigenarbeit das Haus vor weiterem Verfall bewahrten und es auf die Denkmalsliste brachten.
Nach der Wende trat die Kulturstiftung der Dresdner Bank in Aktion. Sie erkor in einer Stadt wie Dresden, die zugleich enorm traditionsbewußt wie theaterbegeistert ist, die Rekonstruktion des Societätstheaters zu ihrem Haupt- und Vorzeigeprojekt. Mehr als sechs Millionen Mark hat die Bank in die Wiederherstellung des Theatergebäudes investiert, das zwischenzeitlich als Postamt, Schnapsbrennerei, galvanische Werkstatt, Seifensiederei und Wohnhaus zwischengenutzt worden ist. Nun ist ein modernes Theatergebäude mit barocker Fassade entstanden, mit einer Guckkastenbühne für rund hundertfünfzig Zuschauer im ersten Stock wie einst und mit einer im unterkellerten Funktionstrakt neu installierten kleinen Spielstätte.
Die künstlerische Leiterin Britt Magdon, die zu DDR-Zeiten das mittlerweile geschlossene (Volkskunst-)Podium um die Ecke in der Hauptstraße leitete, will mit dem Weimarer Chefdramaturgen Thomas Potzger das Societätstheater in die Tradition des Moskauer Künstlertheaters stellen – also Kammertheater der kleinen Form und aller Genres mit dem Darsteller im Mittelpunkt. Es ist ein Gastspielhaus ohne Ensemble, das sich seinen Ort zwischen Festspielhaus Hellerau, Projekttheater in der äußeren Neustadt, dem Laboratorium der russischen (Tanz)Theatergruppe Derevo und dem experimentellen Ableger des Dresdner Schauspiels, dem Theater in der Fabrik (TiF), sicher mühsam wird erkämpfen müssen.
Künstler der Stadt mit experimentellen Projekten und Gastspiele vor allem aus dem osteuropäischen Raum sollen dem Societätstheater ein eigenes Profil geben. Das wird bei einem auf fünf Jahre von der Stadt garantierten Etat von rund 1,3 Millionen sicher nicht einfach. Der erste Monatsspielplan verzeichnet eine Compagnie aus Sofia, einen Dresdner Tanzsolisten und den Leipziger Wortsinnverdreher Krause Zwieback, einen Woody-Allen-Abend, ein Nietzsche-Programm sowie Konzerte und den Auftritt des Dresdner Seniorinnentheaters.
Das Programm zeigt einen bunten Anfang, aber noch kein Profil. In Zukunft will Britt Magdon Projekte in thematischen und künstlerischen Zusammenhängen gestalten. Obertitel ist „Atlantis“, darunter gruppieren sich zum Beispiel ein „Gretchen-Projekt“ oder Arbeiten unter dem Titel „Die heiteren Verlierer“. Und für alle Fälle gibt es noch die Theaterkneipe „Die Neuberin“. Hartmut Krug
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