: Japan subventioniert sich selbst
Die Regierung ermuntert mit einem Aktionsprogramm zu 770.000 neuen Stellen. Gefördert wird nicht nach wirtschaftlichen, sondern nach parteipolitischen Kriterien ■ Aus Tokio André Kunz
Die Lage auf dem japanischen Arbeitsmarkt ist ernst. Das findet nicht nur die japanische Regierung, sondern auch Hideaki Kobayashi. Der 37jährige Bauingenieur gehört seit vier Monaten zum wachsenden Heer von beinahe drei Millionen Arbeitslosen in Japan. Jede Initiative der Regierung zur Schaffung von neuen Stellen verfolgt Hideaki gespannt. Gestern war er enttäuscht. 770.000 neue Stellen will die Regierung innerhalb von 24 Monaten schaffen. „Das ist eine Mogelpackung“, vermutet Hideaki und erklärt sogleich, warum.
750.000 Stellen gingen im Jahre 1998 verloren, und die Arbeitslosenrate schnellte innerhalb von einem Jahr von 3,6 auf 4,4 Prozent hoch. Rund zwei Drittel der Stellenverluste gingen auf das Konto der Bauwirtschaft, die von der gegenwärtigen Rezession am stärksten betroffen ist. Deshalb landete auch Hideaki auf der Straße. Er bildet sich seitdem im Ability Garden, einer neugeschaffenen staatlichen Fortbildungsstätte, in Tokio weiter. Demnächst will er einen eigenen Kleinbetrieb eröffnen und lernt die Grundlagen der Betriebsführung. In zwei Monaten ist es soweit.
Hideaki profitiert aber von ganz anderen Projekten als dem von der Regierung Obuchi verkündeten Stellenprogrammen. Ein Prgramm für „Start-up-Firmen“ hat das Arbeitsministerium zusammen mit dem Ministerium für Internationalen Handel und Industrie (MITI) schon im vergangenen Jahr lanciert. So zahlt die Regierung an junge Unternehmer im ersten Jahr der Betriebsgründung die Hälfte der Löhne bis zu einer Höchstgrenze von 3,5 Millionen Yen (rund 50.000 Mark) für bis zu sechs Angestellte. Damit sollen aus dem Heer von entlassenen Firmen- Samurais neue Unternehmer für das 21. Jahrhundert gefördert werden.
Diese Programme gehen davon aus, daß der japanische Arbeitsmarkt nur über eine weitgehende Deregulierung nachhaltig belebt werden kann. Schon vor 14 Monaten hatte das MITI einen langfristigen Aktionsplan vorgelegt, der bis zum Jahr 2010 die Schaffung von 7,4 Millionen neuen Stellen anpeilte. Der größte Teil dieser Stellen sollte über die Liberalisierung und Privatisierung des Gesundheitswesens, ähnlich wie in den USA, geschaffen werden. Japan, mit seiner schnell alternden Bevölkerung, hat einen riesigen Bedarf an Pflegepersonal in der Zukunft. Das MITI schätzte schon 1997, daß mindestens ein Drittel oder 2,5 Millionen Stellen in diesem Sektor geschaffen würden.
So erstaunt es nicht, daß Premier Keizo Obuchi gestern die Schaffung von 100.000 Stellen im Gesundheits- und Sozialwesen anküdigte. Es besorgt eher, daß nur so wenige in dieser Wachstumsbranche, dafür aber im Bausektor, der an chronischer Überkapazität leidet, mehr als 400.000 Stellen geschaffen werden sollen. Mittlere und kleinere Betriebe in ländlichen Gegenden sind praktisch bankrott und überleben nur mit Hilfe des von der Regierung alimentierten Lohnfortzahlungs- Programms. Mit diesem traditionellen Instrument erhalten Betriebe in Finanznöten Subventionen, um Entlassungen zu verhindern. Mehr als eine Milliarde Mark sind im regulären Budget 1999 für diese Maßnahmen eingerechnet.
Das Stellenbeschaffungsprogramm der Regierung Obuchi sieht daher mehr wie ein Subventionsprogramm für die Bauindustrie aus. Dahinter stecken auch handfeste politische Gründe, ist doch die Bauindustrie auf dem Lande die wichtigste Wählerschaft der regierenden Liberaldemokraten. Ökonomen fragen sich deshalb, ob damit nicht wieder Steuergelder aus dem Fenster geworfen werden, die in zukunftsträchtigen Branchen wie der Telekommunikation und der Umweltwirtschaft besser investiert wären.
Die anhaltende Schwäche des Yen könnte auch diese Branchen begünstigen. Denn durch den billigen Yen wird zumindest die japanische Exportwirtschaft am Leben erhalten. Deshalb schoß gestern der Nikkei-Index an der Börse Tokio um 710,55 Punkte auf 14.894 nach oben. Ansonsten geht es mit der Wirtschafsleistung stetig bergab.
Realistische Pläne für weitsichtige Programme zur Wiederbelebung der Wirtschaft bestehen in Japan. Unter anderem hat die Gewerkschaftsföderation Rengo mit dem Unternehmerverband Nikkeiren die Schaffung von innovativen Stellen bereits vor einem Jahr vorgeschlagen. Hideaki Kobayashi fand diese Ideen einleuchtend und wird deshalb am 2. Mai mit drei ehemaligen Arbeitskollegen ein Büro für Umweltberatung in einem Vorort von Tokio eröffnen.
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