Ein geschliffener DDRler

■ Klaus Gysi, ehemals auf dem heiklen Posten des DDR-Staatssekretärs für Kirchenfragen, verstarb 87jährig. Wie Sohnemann Gregor ein Scharfzüngiger

Berlin (taz) – Das geschliffene Wort gehörte selbst bei DDR-Spitzenpolitikern nicht eben zum alltäglichen Sprachschatz. War Schweigen Gold, so Reden oft Blech. Weshalb den meisten Bürgern als Hauptkriterium für einen besonderen Politiker nicht etwa galt, wie der zum Sozialismus stand, sondern in welchen Worten er feine Distanz zu ihm erkennen ließ. Wenn also einer mal nicht mit Phrasen glänzte, fiel er gleich auf. Klaus Gysi war so einer. Der Vater des im Westen heute viel bekannteren Fraktionschefs der PDS im Bundestag, Gregor Gysi, verstarb am Sonnabend mit 87 Jahren.

Klaus Gysi wuchs in bürgerlichem Hause in Berlin auf. Er war mit reichlich Intelligenz, sprachlichem Witz und Charme ausgestattet. Zum Verdruß seines Vaters, eines Arztes, hing Gysi aber auch einem Faible von Gerechtigkeit an, wie sie sich die Kommunisten vorstellten. Noch vor seinem Germanistikstudium trat Klaus Gysi in den kommunistischen Jugendverband und später in die KPD ein. Während des Krieges arbeitete er in Frankreich und Deutschland illegal für die Partei. Womit er für eine Karriere in der sowjetischen Besatzungszone geradezu prädestiniert war.

Vom Berliner Bezirksbürgermeister stieg Gysi schnell in die Kulturpolitik auf. Er leitete den renommierten staatlichen Aufbau- Verlag. 1966 wurde Gysi Kulturminister. Nachdem er von 1973 bis 1978 die DDR als Botschafter in Italien vertreten hatte, übernahm er den wohl schwierigsten Funktionärsjob, den es im Arbeiter- und Bauernstaat auszufüllen gab: Er wurde Staatssekretär für Kirchenfragen.

Auf der heiklen Trennlinie zwischen Staat und Kirche zu balancieren war Auszeichnung und Strafe zugleich. Keinen Betonkopf brauchten die DDR-Oberen für die Gratwanderung zwischen dem christlichen Glauben und dem an den Kommunismus. Honecker setzte auf den vertrauensvollen Vermittler mit Fingerspitzengefühl. Andererseits gab es für Gysi wohl nichts Frustrierenderes, als zu sehen, wie ihm der eigene Auftraggeber immer wieder in den Rücken fiel. Zum Beispiel mit der Einführung der obligatorischen Wehrerziehung 1978 samt dazugehörigem Gesetz von 1982.

Trotzdem: Gysi wurde entspannendes Wirken bescheinigt. „Ein guter Mann, ein geistreicher Mensch“, befand Stefan Heym, gewiß einer der solidarischsten und heftigsten Kritiker der DDR. In Gysi personifizierte sich nach Heym das Dilemma der DDR. Er hat ziemlich genau gewußt, was (falsch) läuft, und doch nicht mehr gemacht, als darunter zu leiden. Den „betrogenen Betrüger“ wollte Gysi jedoch in keiner Hinsicht auf sich beziehen. Dazu war ihm das eine zu billig und das andere zu dumm. „Na ja, wir haben den Mitgliedern erzählt, es steht alles wundervoll“, sagte Gysi einmal. „Aber sie fühlten oder wußten selbst, daß das nicht stimmt.“ Gunnar Leue