piwik no script img

Weiblicher Generalangriff auf die Künste

■ Die kanadische Performerin Kinnie Starr will kein Popstar werden, hat aber das Zeug, beim Festival „women in (e)motion“ groß rauszukommen / Im taz-Gespräch erklärte sie unter anderem, warum Neil Young ein Vorbild ist

Wenn man der kanadischen Presse Glauben schenken darf, ist Kinnie Starr wohl der Paradiesvogel des diesjährigen Festivals „Women in (e)motion“: „Sie ist eine neo-beat Poetin mit einem Herz für funkigen Punkrock, ein Neohippie mit einer Vorliebe für HipHop-Rhythmen. Sie ist rauh, witzig und mag Sex sowie psychedelische Drogen.“ Sounds like fun! Zudem vermischt sie gern alle möglichen Künste, steigt oft von der Bühne herunter und mag kein Fernsehen. Grund genug, mit ihr zu sprechen.

taz: „Ich bin kein Fernseher“, scheint Ihr Schlachtruf zu sein! Woher kommt diese Abneigung für das einflußreichste Medium der heutigen Welt?

Kinnie Starr: Ich hasse es einfach, vor einem Publikum zu spielen, das nicht reagiert, wenn die Zuhörer am Ende eines Songs höflich klatschen, aber ansonsten wie „Zombies“ dastehen. Und ich glaube, daß dieser tote Blick von Teenagern, den ich da manchmal sehe, ein Nebenprodukt des Fernsehens ist.

Verlassen Sie deshalb so oft die Bühne, singen im Publikum und zwingen es geradezu zur Interaktion mit Ihnen?

Ich versuche, den Leuten meine Lieder direkt ins Gesicht zu spielen, und mich stört diese strenge Trennung zwischen den ZuhörerInnen und mir. Ich schaue den Menschen lieber in die Augen, als daß ich in das gleißende Licht der Scheinwerfer blinzeln muß. Die Leute kommen, um unterhalten zu werden, und ich unterhalte sie ja auch, aber sie müssen mir auch etwas zurückgeben, denn dadurch wird die Show besser. Wenn sie schon Geld ausgeben, um etwas zu erleben, können sie sich auch genauso gut ganz darauf einlassen.

Sie reißen ja nicht nur die Grenzen zwischen Bühne und Zuschauerraum ein, sondern auch die zwischen den Künsten. Ihre Auftritte sind Mischungen aus Konzert, Performance, Dichterlesung und Tanz, und zudem malen sie noch, sind Designerin und machen Graffitis. Warum dieser Generalangriff auf die Künste?

Ich bin einfach nicht daran interessiert, nur eine Sache zu machen. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß ich kein Metier in einer Schule gelernt habe, ich bin in nichts ordentlich ausgebildet worden. Und ich beginne mich schnell zu langweilen. Ich begann damit, Gedichte zu verfassen, und beim Schreiben fühle ich mich immer noch am sichersten, aber es ist fast unmöglich, als Poet oder Schriftsteller sein Geld zu verdienen.

Man kann die unterschiedlichsten Einflüsse in Ihren Songs finden, von den Beat-Poeten der 50er bis zu Hiphop und Punk. Welcher Musiker wäre noch am ehesten Ihr Rollenmodel?

Neil Young, eindeutig! Je mehr ich über ihn lerne, desto mehr respektiere ich ihn. Er hat extrem schwere Zeiten hinter sich, in denen viele seiner Freunde und Bandmitglieder an Drogen starben, und er hat all das geistig gesund überstanden. Er hat wundervolle Popsongs geschrieben, aber auch den elegischen Soundtrack zum Film „Dead Man“. Er macht, was er will und hat, genau wie etwa Joni Mitchell, eine lange, spannende Karriere gemeistert, ohne dabei zum Popstar zu werden. Und das möchte ich auch für mich so weit wie möglich vermeiden.

Gab es einen genau zu definierenden Moment, in dem Sie erkannten, was Sie künstlerisch machen wollten und konnten?

Das war mein erster Solo-Auftritt vor drei oder vier Jahren. Ich war vorher schon mit einer Band aufgetreten, aber das funktionierte gar nicht, und nun trug ich meine Gedichte vor, hinter mir dröhnte ein Ghettoblaster mit verschiedenen Rhythmusschleifen, und ich spielte dazu ein wenig Gitarre. Und ich war von der Reaktion des Publikums wie hypnotisiert. Ich hatte ja keine Ahnung, daß solch ein gespaltener Stil wie meiner die Leute wirklich interessieren würde.

Fragen: Wilfried Hippen

Kinnie Starr in einem Doppelprogramm mit der ebenfalls kanadischen Sängerin Lucie Idlout heute ab 20 Uhr im KITO

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen