: Zersplittert und konspirativ
■ Verfassungsschützer Uhrlau: Rechtsextreme im Strukturwandel / Gefahr des Rechts-Terrorismus wächst / Überwachung wird schwieriger Von M. Carini
Ernst Uhrlau wird nicht müde zu warnen. Die „Anzeichen auf eine Vorbereitungsphase für rechtsextremistischen Terrorismus verdichten sich“, ist sich Hamburgs oberster Verfassungsschutz-Chef sicher. Weil auch in Hamburg die rechtsextremistischen und neonazistischen Gruppierungen und Parteien öffentlich erfolglos, hoffnungslos zerstritten oder gar verboten sind, wächst die Gefahr der Bildung dezentraler, konspirativer Organisationsformen, die bereit sind, sich auch militanter Mittel zu bedienen. Uhrlau zur Gewaltbereitschaft: „Wenn die Gruppen von der theoretischen in die praktische Phase übergehen, ist alles denkbar“.
Zwar sei in Hamburg, wie auch im gesamten Bundesgebiet, „die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten rückläufig“, doch die Gefahr organisierter Anschläge von rechts erwächst nach Auffassung des Hamburger Verfassungsschutzes gerade aus der Krise dieses Spektrums. Die ultrarechten Parteien Republikaner, DVU und NPD haben – wahlarithmetisch betrachtet – ihren Zenit überschritten. „Das blamable Bild, das die in die Parlamente gewählten Vertreter dieser Parteien in ihrer Zerstrittenheit und ihrer mangelnden Kompetenz“ auch in Hamburg abgeben, und die Tatsache, daß die Rechtsparteien eher gegeneinander konkurrieren als miteinander kooperieren, sind für Ernst Uhrlau die Hauptgründe für deren zu beobachtenden Niedergang.
Das Verbot der Wiking-Jugend, FAP und Nationaler Liste (NL) sowie die flächendeckenden Veranstaltungsverbote für Rechtsextremisten hätten zudem den Neonazis ihre organisatorische Basis und öffentliche Bühne entzogen. Positive Folge der Verbotsmaßnahmen: Die Zahl und Wirksamkeit der extremistischen Aktivitäten hat spürbar nachgelassen, die Rekrutierung des braunen Nachwuchses wird ohne organisatorische Plattform immer schwieriger.
Auch wenn Uhrlau die Verbotsmaßnahmen grundsätzlich begrüßt, sind sie für ihn ein „zweischneidiges Schwert“. So wirken die Verbote nach Uhrlaus Erkenntnissen auch als „Anstoß für den Übergang zu konspirativen und illegalen Handlungsformen und für eine zunehmend aggressive Stimmung gegenüber den staatlichen Organen“. Ernst Uhrlau befürchtet: „Diese aggressive Stimmung kann sich gewaltsam entladen. Der Staat ist in die Angriffslinie der Rechtsextremisten gekommen“.
Zudem machen die neuen – konspirativen – Organisations- und Kommunikationsformen der in die Illegalität abgedrängten extremen Rechten ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz immer schwieriger. Örtliche Kleinstgruppen und Kameradschaften, die durch den verstärkten Einsatz technischer Kommunikationsmittel wie Info- oder Mobil-Telefone und Mailboxen miteinander Verbindung halten und Absprachen treffen, bestimmen die Szene. Uhrlau: „Die staatlichen Überwachungsmaßnahmen können durch diese technologische Aufrüstung erfolgreich unterlaufen werden“.
Trotzdem ist für Hamburgs Verfassungsschutz-Chef der „große Lauschangriff“ zur besseren Beobachtung der rechtsextremen Aktivitäten „kein Thema“. Da wirklich brisante Informationen eher „in Kneipen und Parks“ als in Privatwohnungen und zudem eher über Mobil-Telefone als über stationäre Anschlüsse ausgetauscht würden, könnte der Verfassungsschutz „mit diesem Instrument nichts anfangen“. Uhrlaus Absage an die weitgehenden Abhörmöglichkeiten ist deshalb eindeutig: „Ich brauche das nicht“.
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