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Mehr Wetter! Mehr! Mehr!

■ Kampf dem Deutschen Wetterdienst! Jörg „Wetterfrosch“ Kachelmann, Eigner der Schweizer „Meteomedia AG“, eröffnete erste private Bremer Wetterstation

Warum ist Jörg Kachelmann traurig? Er seufzt, als käme er aus Quedlinburg (Sachsen-Anhalt). Dreht die Augen gen Himmel, als stünde seine Wiege im Diepholzer Moor. Tut derart maulig-melancholisch, als sei er Österreicher. Dabei kommt er aus dem Appenzeller Land, hat zwei Firmen, eine Talk-show im MDR und ist der berühmteste Wetterinterpretator des deutschsprachigen Raums in den Grenzen von 1914. Und darf auch noch bei strahlendem Sonnenschein seine c.a. 135. Wetterstation einweihen. In – Tusch! – Bremen! Jörg Kachelmann zerschnitt gestern um 11.23 Uhr ein blaues Bändchen, das ein gewisser Rolf Pottschmidt neben zwei auf einer Wiese aufgestellte Stangen hielt. Damit war die erste Bremer Kachelmannstation, die übrigens schon seit November arbeitet, auch offiziell eröffnet.

Bremen-Neustadt, Flughafendamm. Auf dem Gelände einer Firma stehen zwei – sagen wir es offen – unauffällige Stangen. Eine mit Hütchen. Eine mit Trichter. Die Wetterstation. Verkabelt mit einem Wind- und Sonnemesser auf dem Firmendach und einem Computer. Die Firma hat die Installation gesponsert, die dem Kachelmann jede Stunde Daten liefert. Deshalb muß hier einmal werbewirksam mitgeteilt werden, daß es sich um Finesse handelt, jawoll: Finesse! Handel mit Animationsdüften, Erlebnisdüften und dem notwendigen Zubehör für Duftevents. Hit: das Aufgußkonzentrat Slivowitz und das Weihnachts-Aufgußkonzentrat Bunter Teller.

Knapp 20.000 Mark hat Finesse dem Kachelmann für die Wetter-station gegeben plus die Arbeitskraft eines Mitarbeiters, der hinaus muß, wenn es hagelt, damit er die Hagelkorngröße mißt. Ein klassisches win-win-Geschäft: Der Firmenname erscheint im Gegenzug auf Kachelmanns Internetseite mit dem Bremenwetter. In Italien werden solche Seiten 400.000mal am Tag angeklickt, freut sich Rolf Pottschmidt, der Chef von Finesse. Aha!

Und jetzt kommt die Aufklärung, warum Jörg Kachelmann trotz „Kaiserwetters“ und feierlicher Eröffnung sowie kollossalem Presseandrang traurig ist. Die schreckliche Wahrheit, die Myriaden von Fans erschüttern wird: Kachelmann hat einen übermächtigen Feind. Das ist der Deutsche Wetterdienst (DWD). Der DWD ist Wettermonopolist: reich, arrogant und Offenbacher (!). Gut eine halbe Milliarde Umsatz. Wetterlieferant von (noch!) den meisten Zeitungen, TV- und Radiostationen. David Kachelmann mit den Firmen Meteomedia und Meteofax (rund 4 Mio Umsatz) ist angetreten, Goli-ath Wetterdienst mit Wetterstationen zu bewerfen, bis dieser wankt. Ende des Jahres will Kachelmann mehr Wetterstationen haben als der DWD. Und nun kommt der Vorteil für uns Bremer!

Der Vorteil für uns Bremer ist, daß wir jetzt unser Bremenwetter im Internet ansehen können. Denn seien wir ehrlich: Der echte Wetter-User hat drei hippe Möglichkeiten, sich über das Wetter zu informieren. Erstens kann er den Gärtner über Handy anrufen, der gerade die Hecke schneidet. Zweitens kann er via Internet die Webcamera auf dem Bremer Fallturm ansteuern und sich mal umsehen. Drittens kann er Kachelmanns Website besuchen (www.meteomedia.ch), „Bremen“ anwählen und lesen: 3 Grad, kein Regen, Wind maximal 47 km/h, Sonnenscheindauer 60 min pro Stunde. Man kann dann zu Kontrollzwecken aus dem Fenster schauen.

Es geht – o ja – ums Kleinklima. Herr Kachelmann schwört, daß es vorkommt, daß es in Bremerhaven 15 Grad kälter ist als in Syke! In Syke gibt es eine Meßstation (danke, Kreissparkasse!). In Osterholz-Scharmbeck auch (danke, Ökologiestation!). Nun hat also auch Bremen sein lokales Wetter. Herr Kachelmann, der sich nicht dagegen wehrt, „Wetterfrosch“ genannt zu werden, findet es sogar „spannend, mehr Wetter zu haben“. Denn „wir können heute mehr als 3 bis 8 Grad, teils heiter, teils wolkig, einzelne Schauer melden".

Für alle, die Jörg Kachelmann unverständlicherweise nicht kennen – oder schlimmer noch: nicht lieben – hier etwas Hintergrundinformation: Kachelmann wurde 1958 in Lörrach geboren, woraufhin er sein Studium abbrach und dem Südwestfunk selbstgeschriebene Wetterberichte zuschickte, bis der dafür bezahlte.

Da zog Kachelmann in die Schweiz, wo er die Meteomedia AG gründete, um ein neues Zeitalter der Wetterpräsentation einzuläuten, was jederzeit um acht vor acht im Fernsehn überprüft werden kann. Nebenbei setzte er einen speziellen „Wetterkanal“ nach zwei Jahren in den Sand und scheiterte bei dem Versuch, in „Einer wird gewinnen“ Kulenkampff zu ersetzen. Unvergeßlich auch, daß Kachelmann erreichte, daß Tiefs ab April Männernamen tragen, daß einmal im Kachelmann-Studio auf der Ostseeinsel Hiddensee der nicht minder bekannte Günther Grass das Wetter vorlas und daß Kachelmann mal auf dem Titel von Superillu war. BuS

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