Die Beißattacken nehmen zu

Die Große Koalition will 130.000 Hunde, nach dem Bär der Berliner liebstes „Kind“, per Hundeverordnung an die Leine legen. Jetzt regt sich bellender Widerstand  ■ Von Philipp Gessler

Nein, „hundepolitischer Sprecher“ will Michael Haberkorn, Sozialexperte der Berliner Bündnisgrünen, dann doch nicht genannt werden. Obwohl er es in diesen Tagen beinahe ist. Das liegt an dem Leinenzwang für Hunde, den die SPD- und CDU-Abgeordneten im Berliner Innenausschuß am vergangenen Montag auf den parlamentarischen Weg gebracht haben.

Alle Hunde der Hauptstadt, egal ob winziger Chihuahua oder riesige deutsche Dogge, müssen nach dem Willen der Parlamentarier der regierenden Großen Koalition bald an der Leine geführt werden. Seit dies bekannt ist, hat Berlin wieder ein richtig schönes Aufregthema.

Daß gerade die Hauptstädter aufheulen, liegt auch daran, daß in keiner deutschen Großstadt so viele Hunde leben wie in Berlin, etwa 130.000 der knapp fünf Millionen bundesweit, Tendenz steigend. Und keine andere Großstadt hat eine so hohe „Hundedichte“, wie Bernhard Meyer, Hauptgeschäftsführer des Verbandes für das Deutsche Hundewesen (VDH), erklärt. In Berlin kommt auf 35 Einwohner ein Hund.

Es gibt auch mehrere tausend sogenannte Kampfhunde – aber äußerst umstritten ist, ob es so etwas überhaupt gibt, und wenn ja, welche Rassen dazugehören. Im vergangenen Jahr nahm jedenfalls die Zahl der Beißattacken gegen Menschen zu: auf 1.762 statt bisher etwa 1.500 im Jahr. Im November wurde deshalb eine Hundeverordnung verabschiedet.

Ein wesentlicher Punkt darin: Da unklar ist, was gefährliche Rassen sind, definierte man die Vierbeiner als gefährlich, die schon einmal zugebissen hatten. Für sie besteht eine Anlein- und zum Teil Maulkorbpflicht – dumm nur, daß der Hund dann schon zugeschlagen hat.

Das war den Grünen der Stadt „zu schlaff“, wie Haberkorn betont. Mißlich auch, daß unter anderem Alkohol- und Drogensüchtige einen Nachweis über ihre Befähigung zum Halten eines gefährlichen Hundes machen müssen. Mit der SPD wollten sie deshalb nach bayerischem und brandenburgischem Vorbild eine von manchen Experten als Quatsch eingestufte Liste gefährlicher Rassen aufstellen. Damit sollte das Halten dieser Hunde erheblich eingeschränkt werden.

Überraschend aber einigten sich die SPDler am Montag mit der CDU darauf, keine Liste einzuführen – sondern eben den „generellen Leinenzwang“ für alle Hunde.

Nur so bekomme man eine parlamentarische Mehrheit, begründet Heidemarie Fischer (SPD) den Schwenk. Eine Bedingung für den „Hundekompromiß“ (Berliner Zeitung) gab es auch: Der Leinenzwang gelte nur, wenn „ausreichend Hundeauslaufgebiete im Stadtraum“ vorhanden sei – naher zudem. Genau an diesen Auslaufgebieten aber mangelt es: Nur 22 gibt es in Berlin, im Osten der Metropole lediglich eine (in Pankow), und einige, so klagen Hundehalter, sind abgelegen und alles andere als ansehnlich.

Eine Reihe von Bezirken der Stadt hat schon Widerstand gegen das geplante Gesetz angekündigt. Sie wissen nicht, wo sie die Flächen hernehmen sollen, und das, obwohl das Gesetz eigentlich schon vor der Sommerpause beschlossen werden sollte.

Die Sprecherin des Berliner Tierschutzvereins, Carola Ruff, kündigte eine Klage gegen das geplante Gesetz an. Es verstoße gegen den Tierschutz, solange keine alternativen Auslaufgebiete geschaffen würden. Der Leinenzwang verstoße gegen die Forderung des Tierschutzgesetzes, wonach Tieren eine „artgerechte Bewegung“ möglich sein müsse.

Die Tierschützer forderten zudem: Auslaufgebiete, eines im jeden Wohnbezirk, müßten immer zu Fuß erreichbar und mindestens so groß wie ein Fußballfeld sein. Auch ein Spendenkonto hat der Tierschutzverein schon zur Finanzierung der Klage eingerichtet.

Seitdem wird zurückgerudert. Der SPD-Landeschef Peter Strieder verkündete vorgestern, daß das alles ja nicht so gemeint sei, und brachte die Rasseliste wieder ins Gespräch.

Seine Genossin Fischer sagt, daß man von der geplanten Verordnung nie besonders überzeugt gewesen sei, aber so sei das eben in einer Großen Koalition: „Da beschließen wir manches, von dem wir wir nicht überzeugt sind.“

Fraglich ist mittlerweile, ob der Leinenzwang überhaupt kommt – und ob er befolgt wird. Der VDH- Landesvorsitzende Rüdiger Kußerow, der den Leinenzwang durch ein Votum seiner 60 Mitgliedsvereine unterstützt hat, betont, die Verordnung werde wohl nicht „die alte Dame mit Pudel“ treffen. Da werde man sicher „Gnade vor Recht ergehen lassen“.

Haberkorn von den Grünen vermutet, daß es zu einer lediglich „augenzwinkernden Umsetzung“ der geplanten Verordnung kommen wird: Erfahrung mit solchen Gesetzen habe man ja schon – etwa mit der Anleinpflicht im Park, die kaum jemand einhält, und vor allem mit der Hundekotverordnung, die seit zwölf Jahren gilt.

Bei ihr, so hat Haberkorn festgestellt, greife die Polizei ja auch nur in einem Fall tatsächlich ein: „Wenn der Hundehaufen die Straße versperrt.“