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Blick zurück in 3-D

■ Trash at his best: Kiss begeisterte in der Stadthalle mit einer Monster-Retro-Comicshow

Piff, paff, puff, peng (Feuerwerk). Boing-bumm-bumm-zisch-wumm-di-dumm (Musik). „I was made for loving you“ (Refrain). Daddel-quietsch, daddel-dampf (Gitarren-Solo). Sabber-kitzel (Bassist nach oralem Bluterguß mit der Zunge am Hals). „Do you feel allright?“ (Ansage). „Yeah!“ (Publikum).

Ein Auftritt von Kiss ist kein Rockkonzert, sondern eine ritualisierte Monster-Retro-Comicshow. Glanz und Glamour und Pomp statt Tränen, Schweiß, Rebellentum. Hier knallen nicht irgendwelche emotionalen Sicherungen rock'n'rollend durch, hier explodieren Konfettikanonen. Hier fliegen nicht die Funken musikalischer Intensität und spieltechnischer Virtuosität, sondern nur solche von Silvester-Feuerrädern. In der Nachfolge von Alice Cooper und den New York Dolls entwarfen sich Kiss zu Beginn der 70er Jahre als Cartoon, in dem Fantasy-Welten in vulgär-komischer B-Movie-Manier reichlich Sex- und Gewaltparodien streifen. Strass auf sadomaso Ritterkostümen eines Science-Fiction-Film-Fundus der schwarz/weißen Ära addierten sich mit Klumpstiefeln und transylvanischem Make up zum Mummenschanz eines schwer erfolgreichen Horrorkarnevals.

War das New Yorker Quartett zu Beginn der 80er Jahre dann vom Punk überrollt worden, legte es 1996 – nach peinlichen Versuchen, unmaskiert auf getrennten Wegen im Geschäft zu bleiben – die finanziell erfolgreichste Welttour des Jahres hin. Und Kiss, nun wieder eine Multimillionendollarfirma, legte nach. Die Musikclowns hatten ja noch nie einen Hehl daraus gemacht, daß für sie eine „erfolgreiche Rockband zuallererst eine gut geölte Geldmaschine“ sei. Als Kopien ihrer selbst kommen sie jetzt als Zeichentrickserie im US-Fernsehen zu Ehren, legen endlos Merchandising-Artikel und eine neue Tour auf – die noch besser, also noch lauter, noch schrecklicher zwischen Größenwahn und Geisterbahn zu pendeln habe. Während sich in unserem Jahrzehnt der Wiedervereinigungen Bands wie die Sex Pistols auf offener Bühne lächerlich machten, funktioniert Kiss weiterhin, da die Show an keine Echtzeit gebunden ist.

Unter der Maskerade sind Alterungsprozesse nicht zu erkennen. Die Illusion, daß das Konzert von 1999 in der ausverkauften Bremer Stadthalle als remasterte Version mit einem von 1979 identisch sei, geht bei diesem Rocker-Stadl vollkommen auf. Quuuuhuuuhuhu, piff, peng, boing, grrrrgh, yeah. Ein Blick zurück in 3-D. Pfiffige Idee. Da die vier Clowns meist hinter (anstatt unter) Lautsprechertürmen agieren, da diese von der Decke zu tief auf die Bühne hängen (für ein Konzert dieser Dimension hat die Stadthalle nicht nur eine lausige Akustik, sondern einfach auch die falschen Ausmaße, wodurch auch einige Special Effects im Tourkoffer blieben), wird das Publikum mit den effektverheißenden Brillen maskiert, durch die wir Kiss mittels 3-D-Videotechnik doch noch erleben: Wie sie übers Publikum schweben, züngelnd herumschlecken, immer wieder einen Gitarrenhals zwischen unsere Augen rammen.

Und die golden Oldies anstimmen, die sich alle genauso ähneln, wie die Songs des jüngsten Albums „Psycho Circus“: Bubblegum-Heavy-Rock, der die abgenudelsten Schmockrockakkorde mit Mitbrüllrefrains zu einer banal vor sich hindröhnen-den Rüpelei mischt, für die die Bad-Taste-Fraktion direkt vom siechenden Schlagerrevival zum Kiss-Kult überwechseln müßte. Dieser herrliche Eskapismus – so gefährlich wie Milky Way vor dem Zähneputzen. Ja, was für ein Jux, wenn Gitarrist Ace Frehley autistisch kopfwackelnd vor seinen Marshall-Boxen steht, einen Ton immer und immer wieder sauber zu spielen versucht, dann heldenhaft vergeblich um ein intensives Solo ringt, das aus der willkürlichen Addition von Donnergrollen, Jauleffekten und maulig quietschigem High-Note-Spiel besteht? Schön auch, wie Frehley es dann einfach sein läßt und lieber mit Laser-(?)Strahlen zwei Scheinwerferattrappen vom Bühnenhimmel schießt. Welch Ironie, wenn Peter Criss zum Thema Schlagzeug-Solo nicht mehr einfällt als buuummm-buuumm-buumm-buum-bum. Oder wenn Paul Stanley, nur echt mit unbedeckter Brustwolle, sich noch mal rührend bemüht, eine Gitarre zu zerdeppern.

Ach, und Oberküsser Gene Simmons, der mit zusammenhanglosen, ins Dumpfe wegglucksenden Minimalismus-Baßfiguren die Songs brutal aufbläht. All das: ein lärmend reueloser Spaß der Abgeschmacktheiten des Rock'n'Roll. Ähnlich der Als-ob-Art, mit der sich Dieter Thomas Kuhn & Co. ihren Heroen nähern.

Halt Trash at his best. Affig! Piff-paff-sabber-quietsch-dröhn-zisch. Affengeil!!

Jens Fischer

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