Zhu-Show in der Großen Halle des Volkes

Der chinesische Ministerpräsident kündigt zum Abschluß des Volkskongresses die Marktöffnung im Finanz- und Telekommunikationsbereich an. Die Privatisierung ist jetzt in der Verfassung verankert   ■  Aus Peking Georg Blume

Im englischen Original hat der chinesische Ministerpräsident und Wirtschaftszar Zhu Rongji gestern auf seiner einmal im Jahr im chinesischen Fernsehen ausgestrahlten Pressekonferenz aus Februarausgaben des Time-Magazine und der New York Times zitiert. Da seien „Mister Greenspan, Mister Rubin and Mister Summers“ doch glatt als die drei Musketiere der Weltwirtschaft porträtiert worden.

Welch ein Unsinn! Habe er nicht selber diesen drei Herren – der erste ist Zentralbankchef, der zweite Finanzminister und der dritte Vizefinanzminister der USA – persönlich erklären können, wie amerikanische Banken durch den unkontrollierten „cash-flow“ über den Pazifik die asiatische Finanzkrise vorbereiten halfen. Keiner der drei habe ihm widersprochen. Deshalb wiederhole er hier: „Wer ein Land zu schnell zur Öffnung seiner Kapitalmärkte zwingt, riskiert die Volkswirtschaft des betreffenden Landes auszuhöhlen“. Eben das sollten die drei Musketiere endlich verstehen.

So spitzfindig äußerte Zhu seine Kritik an den wirklich Mächtigen dieser Welt, daß man vergessen konnte, an welchem Ort er sprach: nämlich in der Großen Halle des Volkes in Peking, der letzten weltpolitisch bedeutsamen Hochburg des Kommunismus. Den Anlaß gab der Abschluß der zweiwöchigen Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses, Chinas parteihörigem Parlament. Gerade hatte eine Mehrheit von 98,4 Prozent der Abgeordneten den Rechenschaftsbericht des Premierministers angenommen, da ging Zhu mit sich selbst ins Gericht: „Ich bin unzufrieden, weil ich meine Arbeit nicht gut genug mache“, wandte er sich ans Fernsehvolk, wohl wissend, daß die Absolution durch das Parteiparlament ihm draußen auf dem Land wenig nützt.

Zhu brillierte einmal mehr als Weltökonom. Wirklich neu an seiner Rede waren zwei Dinge: „Wir werden unseren Telekommunikationssektor für ausländische Investoren öffnen, und wir werden auch das Geschäft mit chinesischer Währung für ausländische Banken öffnen“, kündigte der Regierungschef an. Zwar nannte Zhu keine genauen Termine und Bedingungen, doch die offenkundig bereits gefällte Grundsatzentscheidung für eine Marktöffnung in den strategisch wichtigen Finanz- und Telekommunikationsbereichen würde mittelfristig einen Durchbruch bedeuten.

Trotzdem bleibt fraglich, ob die Ankündigungen ausreichen, um Bewegung in die festgefahrenen Verhandlungen zwischen Peking, Washington und Brüssel um einen möglichen Beitritt Chinas in die Welthandelsorganisation (WTO) zu bringen. „Der Graben zwischen uns wird kleiner, aber bleibt beträchtlich“, sagte Zhu. Gleichzeitig warnte er, daß Peking langsam die Geduld verliere: „13 Jahre lang verhandeln wir jetzt, unsere Haare sind dabei grau geworden, und es ist Zeit für einen Abschluß.“

Doch mit einem Handelsdefizit gegenüber China von fast 60 Milliarden Dollar im Jahr sind vor allem die Amerikaner derzeit nicht zu Handelskompromissen aufgelegt. Zhu gestand das indirekt zu, indem er seinen geplanten USA-Besuch im April tief hängte: „Ich erwarte in Washington eine feindliche und unfreundliche Atmosphäre. Aber ich fahre trotzdem, damit die andere Seite Luft ablassen kann.“ Da war er wieder: dieser pragmatische, aber nicht humorlose Ton, der in China zu Zhus Markenzeichen geworden ist.

Darüber konnten die Abermillionen Fernsehzuschauer fast vergessen, daß der Volkskongreß schon zuvor eine historische Entscheidung gefällt hatte: Das Privateigentum ist nun in der chinesischen Verfassung verankert, ebenso wie der Grundsatz, daß China „nach dem Gesetz regiert“ wird. Doch die Zhu-Show ist für die meisten Chinesen heute allemal glaubwürdiger als selbst das vielversprechendste Verfassungsgebot.