Press-Schlag: Das Gemäuer bröckelt
■ Der Ausschluß belasteter IOC-Mitglieder wird heute zur Nagelprobe für Samaranch
Ein bißchen muß sich Juan Antonio Samaranch vorkommen wie King Louie in einer Szene des Disney-Films „Das Dschungelbuch“: Tapfer stützt der Affenmonarch mit aller Kraft ein bröckelndes Gemäuer und muß dennoch erleben, wie rundherum alles zusammenkracht und er am Ende mit einem kleinen Steinklötzchen in den Händen dasteht. Seit der dopingverseuchten Tour de France des letzten Jahres mühen sich der IOC-Präsident und seine Vasallen verzweifelt, ihre einst so heile Sportwelt wieder in den Griff zu bekommen, doch ein Schlag folgt dem nächsten, und selbst ihr altbewährtes Mittel, der faule Kompromiß, versagt bei der Konfliktbewältigung. Das Kuschen vor Fußball- und Radsportverband bei der Dopingbekämpfung vergrätzte die Politiker, der angestrebte Entzug des Stimmrechts der IOC-Mitglieder bei der Olympiavergabe scheiterte an deren Widerstand, und die vollmundig versprochenen Reformen der IOC-Strukturen wurden auf den St. Nimmerleinstag verschoben. Bleibt als Nagelprobe der Autorität Samaranchs neben seiner angekündigten Vertrauensfrage der Ausschluß von sechs IOC-Mitgliedern, über den die Vollversammlung heute in Lausanne zu beschließen hat.
Zwei Drittel der über 90 Mitglieder müssen für den Rauswurf votieren, kommt diese Mehrheit nicht zustande, wäre dies Samaranchs Ende. Seit der Spanier 1980 die Macht im IOC übernahm, hatte er so gut wie nie fürchten müssen, daß die Versammlung seine Vorgaben verwarf. Diesmal ist das anders, obwohl die IOC-Kommission zur Untersuchung der Korruptionsvorwürfe unter Leitung des Kanadiers Richard Pound die dicksten Stolpersteine aus dem Weg geräumt hat. Indem man die Kategorien „Verweis“, „Ernster Verweis“ und „Sehr ernster Verweis“ schuf, schaffte man es, sich um den Ausschluß von mächtigen Figuren wie Kim Un-Yong, Witali Smirnow oder Phil Coles herumzudrücken.
Es hat sich aber gezeigt, daß nur wenige im IOC an das Wohl der gesamten Organisation denken. Die meisten Mitglieder sind bestrebt, ihre eigenen Felle am Wegschwimmen zu hindern, und verharren in einer Trotzhaltung gegenüber den Forderungen nach Selbstreinigung. Das beste Beispiel sind die deutschen Sportfunktionäre und deren törichte Reaktion auf die Anregung von Innenminister Otto Schily, einen Olympiaboykott der EU-Staaten zu erwägen. Nicht im entferntesten kommt ihnen in den Sinn, daß es möglicherweise sinnvoll wäre, wenn Sport und Politik gemeinsam Druck auf das IOC ausüben, um dies zu zwingen, seine Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Statt dessen gibt es großes Gebrüll über eine angebliche „Verstaatlichung des Sports“, die vom deutschen IOC-Mitglied Thomas Bach an die Wand gemalt wird. Bach, der Schily bei der Dopingkonferenz allen Ernstes empfahl, doch die Internetseiten des IOC anzuschauen, als dieser mangelnde Transparenz der Organisation beklagte, entblödet sich nicht, die Olympiaboykotte von 1980 und 1984 anzuführen. Als sei die Instrumentalisierung des Sports zu politischen Zwecken dasselbe wie der Versuch, den Veranstalter der Olympischen Spiele höchstselbst zur Vernunft zu bringen.
Solche Sichtweisen sind symptomatisch für die Wagenburgmentalität bei den IOC-Mitgliedern, und es ist nicht unwahrscheinlich, daß eine Solidarisierung mit den vom Ausschluß bedrohten Kollegen stattfindet. Zumal diese sich nicht ungeschickt verteidigen. Während Abdel Gadir aus dem Sudan auf der mitleidheischenden Sündenbockmasche reitet, behauptet Jean-Claude Ganga aus dem Kongo, daß es in Wahrheit nicht um die Verfehlungen einzelner Mitglieder, sondern um die Macht im IOC ginge. Paul Wallwork aus Samoa, dem ein (zurückgezahlter) 30.000 Dollar- Kredit für seine Frau zum Verhängnis wurde, bezweifelt die Integrität von Pounds Untersuchungskommission, der er zweierlei Maß unterstellt. Ähnlich argumentiert Kim, der mit seinem „sehr ernsten Verweis“ keineswegs einverstanden ist. „Manche sagen, sie hätte unabhängig sein sollen“, rügt er die Besetzung der Kommission seines alten Widersachers Pound und droht: „Herr Samaranch und ich bleiben enge Verbündete. Wir stimmen darin überein, daß er untergeht, wenn ich untergehe.“ Durchaus eine Möglichkeit. Matti Lieske
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen