Auf der Leprastation

In „Happiness“ wagt Todd Solondz das Close-Up von den düstersten Seelenkellern. Ein Gespräch über Vorgärten und andere zivilisatorische Sehnsüchte  ■ Von Birgit Glombitza

Sein Pessimismus ist aufrichtig und umfassend. Fasziniert wie ein Insektenforscher legt der Regisseur Todd Solondz in Happiness all die verkrüppelten Seelen auf den Objektträger. Mauerblümchen, die nur darauf warten, wieder zertrampelt zu werden; Ertrinkende, die ihre obszöne Flaschenpost durchs Telefon schicken; oder Pubertierende, die sich beim Masturbieren anstrengen, als führe dieser jämmerlich abgerungene Flecken sie aus dem Laufstall pubertärer Demütigungen ins Freie. Hier ist der Amok unspektakulärer als ein Schluckauf.

taz: Was bedeutet für Sie Glückseligkeit? Ein Liebeslied, wie es etwa Joy in Happiness zärtlich auf der Gitarre zupft? Endlich erfolgreiches Masturbieren, was den Jungen Billy am Ende selig macht?

Todd Solondz: Je nach Geschmack, können diese Momente sicher bestimmte Charaktere glücklich machen. Und wenn an trüben Tagen wenigstens im Kühlschrank das Licht wie die Sonne scheint, kann einen das kurzfristig froh machen. Vögeln macht kurzfristig glücklich. Zufriedenheit und Toleranz zählen zu weniger spektakulären, aber dauerhaften Glücksspender. Und ich glaube, eine Menge Leute haben Schwierigkeiten, diese beiden Glückssorten auseinanderzuhalten, und verwechseln die schnelle Zufriedenheit mit ausdauernderem Seelenfrieden.

Ein Tänzchen als Nachbar-schaftsdienst zwischen zwei einsamen Seelen, das ist in den Kategorien der Happiness-Katastrophen schon fast eine Romanze....

Ja, ein Zeichen der Hoffnung. Egal, wie lange die Geschichte zwischen Kristina und Allen andauert. Für ein paar Sekunden sind sie die heimlichen Gewinner in der Beziehungswüste.

Wer bei Kristina über die Türschwelle tritt, kann sich allerdings nicht sicher sein, ob er das überleben wird. Ihr Personal bildet ein Heer von Schwerstneurotikern, Verhaltensgestörten und Päderasten. Sehen Sie schwarz für die menschliche Seele, sind wir auf dem Tiefpunkt unserer Zivilisation angelangt?

Oh, nein. Wir sind dabei, immer weiter ins Barbarische zu verfallen. Den Tiefpunkt haben wir noch lange nicht erreicht.

Wollen Sie vor dem Abgrund warnen?

Nein, Prediger sind das Letzte. Mein Film schildert die Seelen und Gedankenwelt meiner Charaktere. Ich hole sie von ihrer gesellschaftlichen Leprastation und entdämonisiere sie. Denn ihre Vergehen werden ausführlich und jeden Tag in den Talkshows und Quasselbuden dieser Welt zum Nachmittagsgebäck gereicht. In Happiness kann man sich in diese verkorksten Wesen hineindenken. Und je mehr wir das tun, desto größer ist unsere Chance, menschlicher zu werden.

Ist die Vorstadt der Nährboden für seelische und familiale Verkrüppelungen?

Nicht unbedingt. Denn die Vorstadt, mit all den hübschen Wohnungen und den aufgeräumten Gärten, ist an sich heimelig. Ich will sie nicht diffamieren, sondern das Verführerische offenlegen. Es sind die Kasernen des Amerikanischen Traums.

Einige Ihrer Protagonisten leiden aber gewaltig an der Vorstadt...

Klar, sie fordert auch ihre Opfer. Wer sie haßt, kennt den Terror hinter Katzenklappe und perfekt getrenntem Müll.

Steckt in diesen Opfern zwangsläufig ein potentieller Amokläufer oder Päderast?

Das kann ich nicht sagen. Psychologie interessiert mich auch nicht. Viele halten mich für einen Marsmenschen, der auf dieses seltsam desolate Nest Erde schaut. Auf gewisse Weise fühle ich mich sogar mit meinen Protagonisten verbunden. Aber auf der anderen Seite wäre es für mich unerträglich, wenn mir auch nur einer von ihnen zu nahe käme.

Sind Ironie und Humor Ihre Abstandhalter, um die Geschichten für sich selbst und Ihr Publikum erträglicher zu machen?

Ja, sicher. Das hilft, um sich diese bodenlose Tragik auch wieder etwas vom Leib zu halten. Und natürlich haben auch all diese skurrilen Lebensgeschichten etwas hoch Amüsantes.

Universal fand Happiness aber nicht so amüsant. Schließlich hat die Firma den Vertrieb in Amerika zunächst lieber nicht unter dem eigenen Namen laufen lassen.

Die hatten ein Image-Problem. Vielleicht dachten die, Ärger hin oder her, der Film wird sein Geld einspielen. Daß Universal Happiness indirekt dann über andere doch vertreibt, mag daran liegen, daß sie sich auf die Formel geeinigt haben: Okay, der Film ist mutig. Das Drehbuch hat da vorher sowieso kein Mensch gelesen. Jedenfalls wird mir die Hollywood-Moral immer seltsam erscheinen: Nur ein profitabler Film, ist ein guter Film.

In Happiness scheint der einzige Vorzug von männlichem Sperma zu sein, daß man mit ihm auch Postkarten an die Wände kleben kann. Ist Sperma das deprimierende Top-Requisit in den Filmen Ende der 90er?

Gut möglich, jedenfalls sieht man kaum vergleichbar Niederschmetterndes im aktuellen Kino, in dem das weibliche Ejakulat eine Rolle spielt. Auf einem kleinen Festivals sagte jemand mal zu mir, das Jahr 1998 wird das Jahr von „Happiness“, „Verrückt nach Mary“ und Monica Lewinsky.

Der Film läuft im Abaton, Passage, Studio und Zeise. Eine ausführliche Rezension finden Sie im überregionalen Teil