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Kleingeistjäger kehrt zurück

Der Oberlippenbartträger und Offenleger Dietmar Wischmeyer ist der letzte aus dem „Frühstyxradio“-Kommando, der nicht den eigenen Ausverkauf betreibt  ■ Von Oliver Rohlf

Wenn Dietmar Wischmeyer die Lesebühne betritt, tobt der Saal. Das gehört dazu. Jetzt gehts looos! Verarschung total, und die Opfer sind praktischerweise immer die anderen. Dabei sieht der Mann, von dem alle Wort-Wut ausgeht, aus, als wäre er bloß zweite Wahl. Ohne dem Erfinder des kultisch verehrten und vielfach ausgezeichneten „Frühstyxradios“ nahetreten zu wollen – mit seinen blaßblonden Haaren und diesem Hauch von Oberlippenbart sieht Wischmeyer aus, wie sein fahler Name es vermuten ließe, nämlich nach einer Portion solider Untrainiertheit.

Doch die Wahrheit ist eine andere, und an dem privaten Dietmar sind nur die wenigsten interessiert. Was die Leute wirklich dem 42jährigen Oberholstener abverlangen, sind seine Tonnen riesig ausformulierten Spotts, erniedrigende Tiraden gegen Bauarbeiter, Sozialpädagogik-Studenten und andere ganz alltägliche Morloks. Von Berufs wegen ist der Niedersachse als ehemaliger Chef der Redaktion „Frühstyxradio“ auf ffn der vielleicht härteste Abrechner, Offenleger und Kleingeistjäger des Landes.

Aber was genau ist seine Kunst? Bislang hat niemand einen geeigneten Terminus für die rhetorisch ausklabüsterten Berserkereien des studierten Germanisten und Philosophen finden können. Und die üblichen Kategorien saufen auf halber Strecke ab. Kabarett? Viel zu lasch! Satire klingt zu verschmitzt. Comedy ist es höchstens am Rande, schließlich sollte man Umschmeißer wie Dietmar Wischmeyer und seine fiktiven Charakter-Monster nicht auf eine Stufe mit einem durch die Gegend flötenden Dirk Bach stellen.

Erfundene Figuren-Furunkel wie „Der kleine Tierfreund“, „Willi Deutschmann“ oder „Die Arschkrampen“ bringen mit hemmungslosen Kaskaden Leben in ihren Mikrokosmos, die bloße Andeutung einer Geste wird zum Ritual. Und „Sooo sieddas aus!“: Bier mit Tsaziki plus uferloses Gegöbel von „Arschkrampe“ Kurt kicken die Fans genauso wie Willi Deutschmanns bratziges Gekeife gegen seine Ehefrau, die der passionierte Baumarkthasser zärtlich „Brocken“ nennt, oder jenes unnachahmliche Knattern der zweitaktbetriebenen Kreidler-Florett, auf der der „Kleine Tierfreund“ durch die Flora brettert. In den acht Jahren frühsonntäglicher „Frühstyxradio“-Hysterie fand noch jede Regung und jeder Furz seine Lacher.

Dietmar Wischmeyer selbst hat sich in dem Trubel um Sendung und Person bis hin zu den innerbetrieblichen Zensierungsversuchen durch ffn vor sieben Jahren stets am Prinzip der Zurückhaltung orientiert und konsequent weitere Figuren entwickelt, der Show zu Senderaum im Fernsehen verholfen und vor allem die Mail-order in die Gänge gebracht.

Mag der ehemalige Mitstreiter Oliver Welke im Privatfernsehen jetzt den Sportmoderator mimen oder Grimme-Preis-Träger Oliver Kalkhofe sich in allen möglichen und unmöglichen Medienplätzen über seine eigene Körperfülle totlachen – Wischmeyer zelebrierte auch nach dem offiziellen Ende der Sendung 1996 dezidierte Farblosigkeit. Eitelkeiten? Ebenso Fehlanzeige wie der Wunsch vieler Kollegen, dann doch noch mal im großen Medienzirkus mitmischen zu wollen. Wischmeyer ist und verkauft „Frühstyxradio“ als Produktreihe bundesweit, geht als einziger der alten Crew regelmäßig auf Tournee und schreibt die richtigen Kolumnen – leider in den falschen Blättern.

Seine aktuelle Logbuch-Serie mitsamt der „2. Reise durch das Land der Bekloppten und Bescheuerten“ verbrät einmal mehr die üblichen Trademarks in einer allmählich zeitlos anmutenden Qualität. Pöbeleien, die eigentlich nur auf der naßforschen wie hemmungslosen Aufteilung zwischen Ich und Feindbild basiert. Kein Wir-Gefühl, null Erkenntnistheorie oder Lebensanweisung bahnt sich da an. Wischmeyer will nicht mit Euch sein, sondern über Euch.

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