: Blair prescht vor: Von New Labour zu New Europe
■ Die britische Regierung will die Institutionen der EU jetzt grundlegend reformieren
Berlin (taz) – Für New Labour ist die neue Krise der Europäischen Union ein Glücksfall. Nun kann Tony Blair seine bewährte Kombination von gesunder Skepsis und kreuzzüglerischer Inbrunst zur Schaffung eines New Europe einsetzen. Der Ausgangspunkt ist klar: Das korrupte und unkontrollierte Monster, das bisher unter dem Namen Europäische Union in Brüssel saß, gehört ebenso radikal auf den Müllhaufen der Geschichte wie die korrupten und unkontrollierten Klüngel von Old Labour.
In der Debatte des britischen Parlaments über den Rücktritt der EU-Kommission am Dienstag nachmittag tauchte dieser Vergleich sogar direkt auf und wurde von Oppositionsführer William Hague dem Sprecher von Premierminister Blair zugeschrieben. Hague, Chef der britischen Konservativen, leitete daraus eine Grundsatzfrage ab: „Gibt es nicht heute eine noch größere und wichtigere Herausforderung – daß es Zeit ist, die gesamte Kultur zu verändern, die die Europäische Union leitet?“ Blair antwortete darauf mit einer indirekten Bestätigung. „Es gibt eine Frage, und nur eine Frage: Benutzen wir dieses Ereignis, um uns dem Antieuropäismus der gegenwärtigen Konservativen Partei hinzugeben, die uns völlig aus Europa hinausführen will, oder sehen wir es als Chance, um aus einer Position der Stärke und des Einflusses eine Reformagenda durchzudrücken, im britischen und europäischen Interesse?“
Im Oberhaus gab Labour-Fraktionsführerin Baroness Jay zugleich die Leitlinie vor: „Wir glauben: Für Europa zu sein heißt, für Reform in Europa zu sein.“ Daß die britische Regierung sich als Führer eines Reformflügels in Europa sieht, ist nicht neu, aber nie war sie so zuversichtlich wie jetzt. Bereits in der Debatte darüber, ob Großbritannien dem Euro beitreten sollte, war die Linie von New Labour immer die, daß vor einem eventuellen Beitritt ökonomische Strukturreformen in Europa nötig seien. Bei einem Treffen der europäischen Sozialisten in Mailand Anfang März zur Vorbereitung des gemeinsamen Wahlprogramms für die Europawahlen im Juni setzte sich Blair von seinen Genossen klar mit einem Aufruf zur Nachahmung des „amerikanischen Weges“ ab. „Permanente Revolution“ müsse die Losung der europäischen Linken sein, erklärte Tony Blair seinen verblüfften Amtskollegen. „Wir müssen mutiger sein“, fuhr er fort. „Wenn wir es nicht sind, täuscht euch nicht: Die Rechte wird das von uns verlassene Terrain besetzen. Es reicht nicht, Parteien der sozialen Gerechtigkeit zu sein. Wir müssen auch Parteien mit einer Vision der Zukunft sein, die unsere Völker verstehen und von der sie inspiriert sein können.“
Was die Zukunft der Europäische Union angeht, beschränkt sich die britische Vision derzeit aber doch noch auf institutionelle Reformen. Um die EU-Kommission zur Räson zu bringen, setzt New Labour wie einst beim Umgang mit ungezogenen Labour-Stadträten auf Finanzdisziplin, auf strengere Kriterien bei der Besetzung von Ämtern und auf strikte Disziplinarverfahren.„Die Spitzenämter müssen an Spitzenleute gehen“, sagte Blair.
Ferner sollen die nationalen Regierungen klar über den EU-Kommissaren stehen – damit stellt sich Blair hinter eine alte Forderung der britischen Rechten. Die EU-Regierungen sollten über den EU-Ministerrat einen „neuen Vertrag“ mit der EU-Kommission über „ein Europa der Reform und des Wandels“ schließen, forderte Blair. Außenminister Robin Cook ging gestern noch weiter und forderte eine unabhängige Instanz zur Überwachung der Tätigkeit der EU-Kommission.
Von einer Stärkung des Europaparlaments oder der nationalen Legislativen ist bei diesen Überlegungen keine Rede. Die Reform soll, wie so oft bei New Labour, von oben kommen – am besten, so der Wunsch aus London, schon vom nächsten EU-Gipfel in Berlin.
Dominic Johnson
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