: Jeder Mund ist eine kleine Bohne
■ Ellen Gallaghers großformatige Gemälde in der Galerie Max Hetzler
Man muß auf die Bilder zugehen, damit sie etwas von sich zeigen. Ansonsten hängen in der Galerie Max Hetzler nur drei großformatig schwarz lackierte Flächen und eine auf Leinwand gepreßte Sammlung aus elfenbeinfarbenen Blättern Papier. Ellen Gallagher wiederum liebt die Nähe zu den Dingen, die sie auf ihren Bildern versteckt: Aus kurzer Entfernung wimmelt es von Mündern, Augenpaaren und Ornamenten auf den weithin clean blitzenden Oberflächen.
„Ich mag das flüchtige Material“, hat die 1965 geborene Malerin in die Notizen zu einem ihrer Kataloge geschrieben. Seit der Whitney Biennale 1995 ist Gallagher, die aus einer afrikanisch-irischen Familie stammt, mit ihren Arbeiten auf dem großen Kunstmarkt angekommen. Dabei sind ihre Interessen eher wechselhaft und gebrochen, wie man es aus Cross-over-Kreisen kennt: hier eine Riot-Girl-Band, dort ein Künstlerbuch mit Street Poems von Greg Tate und dann wieder monochrome Malerei.
Aus dieser Gemengelage heraus sind Gallaghers bis zu drei Meter hohe Gemälde mehrfach konnotiert. So arbeitet sie etwa mit gestempelten, bohnenförmigen Klischeemündern alter „Negro“-Comics, und auch die zitierte Kulleräugigkeit gehört in die traditionellen Darstellungen afroamerikanischer Figuren. Diesen Images sind ebenso stereotype Blondinenfrisuren entgegengesetzt, die als geschlungene Welle unter dem schwarzen Lack wie kunstvoll tätowierte Narben hervorscheinen. Aus zahllosen solcher Musterlocken setzt sich nun das Haar einer dem Betrachter abgewendeten Frau zusammen. Die ethnischen Zuschreibungen bleiben dadurch bloßes Konstrukt.
Selbst die Blätter aus dem Schreibheft, mit denen Gallagher ihre Leinwände als Grundierung beklebt, haben eine verschlungene Geschichte. Das fein linierte Papier soll an die Schulzeit erinnern, während die haufenweise arrangierten Münder auf heimlich hingekritzelte Sexphantasien der Jungs zurückgehen. Bei Gallagher mutiert der übliche Slang- und Genitalien-Mix allerdings in eine Parodie auf die bekannten Festschreibungen eines afroamerikanischen Kindchenschemas. Trotzdem wirkt der rabiate Umgang mit kulturellen Identitäten enorm fragil. Vielleicht liegt es an der Weitläufigkeit der Flächen, in die Gallagher ihr Material mit leichter Hand einschleust. Andererseits werden Narbenmuster beim Tätowieren eher schmerzhaft in die Haut geschnitten. Schließlich sollen sie ein Leben lang bleiben. Harald Fricke
Bis 27.3., Di–Sa 11–18 Uhr, Galerie Max Hetzler, Zimmerstraße 88
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen