Grenzenlose Ermittlungen

■ Moskaus Oberermittler triumphiert mit Hilfe aus der Schweiz

Moskau (taz) – Der Triumph des Generalstaatsanwaltes über den Präsidenten machte den Mittwoch für Rußland zu einem historischen Tag. Aber auch unter ihrem internationalen Aspekt ist diese Affäre ein historisches Unikum. Wohl zum erstenmal haben zwei Staatsanwälte über Staatsgrenzen hinweg Politik gemacht – oder ein Oberstaatsanwalt und eine Oberstaatsanwältin.

Mit Sicherheit verhandelten die beiden nicht über politische Taktiken. Die offiziellen Visiten der schlanken blonden Carla bei Skuratow – und umgekehrt – waren relativ zahlreich. Gewisse Moskauer Boulevardzeitungen zogen daraus den Schluß, die beiden hätten ein Verhältnis miteinander. Aber selbst bei bestem Willen, größten Leidenschaften und Scharfsinn, lassen sich Staatsbesuchsbedingungen nicht leicht manipulieren. Was die beiden dagegen bestimmt verband, war Interesse an Schweizer Bankkonten korrupter russischer Politiker.

Ende Februar ließ Frau Del Ponte erkennen, bei wem in Rußland ihre Sympathien liegen. Als der Duma-Vorsitzende Selesnjow und Justizminister Stepaschin bei ihr antichambrierten, warnte sie: Ein Rücktritt ihres Kollegen, Skuratow gefalle ihr gar nicht: „Das ist der einzige Mensch in Rußland, mit dem wir eine gemeinsame Sprache gefunden haben.“

Eine Operation Carla del Pontes ging dem erzungenen Rücktritt Skuratows vom 1. Februar dieses Jahres voraus. Eine von vielen Operationen, bei denen frau – nach Informationen der dem russischen Geheimdienst nahestehenden Tageszeitung Moskowski Komsomoljez – insgesamt Hunderte von Dollarmillionen aus dem russischen Staatshaushalt entdeckte, die hohe Beamte aus dem Kreml auf Schweizer Konten geschafft hatten. Die Haussuchung bei der Luganer Firma MABETEX am 22. Januar erfolgte auf Bitten der russischen Generalstaatsanwaltschaft. Frau Del Ponte leitete sie selbst. Als „beispiellos“ bezeichneten letzteres ihre Untergebenen.

Ungeachtet ihres nach außen hin bescheidenen Images, bekam die Tessiner Firma MABETEX längst die höchsten russischen Staatsaufträge: die Rekonstruktion des 1993 durch Beschuß geschwärzten Weißen Hauses, die Renovierung des Kreml, die Herrichtung aller Gebäude, welche heute die Duma und den Föderationsrat beherbergt. Am 26. Februar beschrieb die französische Zeitung Le Monde den Umfang der MABETEX-Aufträge in Rußland. Demnach führte MABETEX nicht nur Bau-und Reparaturarbeiten aus. Sie half dem russischen Präsidenten auch, zwei Staatsjachten für eine Million Dollar zu erwerben. Und Viktor Stolpowskich, Vizevorsitzender der MABETEX, registrierte auf seinen Namen eine Villa in Moskau - als Strohmann für Jelzin-Tochter Tatjana.

Diese Veröffentlichungen beruhten– darin sind sich westliche Rechercheure einig – auf einem gezielten „Informationslack“ aus der Schweizer Staatsanwaltschaft. Pawel Borodin, der Geschäftsführer des Präsidenten und nächster Geschäftspartner der MABETEX, legte sich nach der Veröffentlichung in Le Monde zum Präsidenten ins Zentrale Krankenhaus der Kreml-Nomenklatura.

Weshalb also haben – entgegen allen Erwartungen – die Deputierten des Föderationsrates Skuratow im Amt bestätigt? Darauf gibt es zwei Antworten: einmal weil das kompromittierend sein sollende Videomaterial gegen Skuratow in ihnen den intermännlichen Beschützerinstinkt weckte. Zum anderen, weil den Deputierten die Enthüllungen der Schweizer Staatsanwaltschaft aus Le Monde schon vorlagen. Carla Del Ponte wird am 23. und 24. März in Moskau erwartet. Barbara Kerneck