Zwischen Colt und Busen

Wenn sie denn wahrgenommen wird, dann als toughe Filmfrau. Hollywood nannte sie die „bestbezahlte Domina“, sie selbst will nicht als Frauenfilmemacherin gelten: Kathryn Bigelow. Ihr Ruf gründet sich auf Filmen wie „Strange Days“ oder „Blue Steel“. Filme, die weder klassischem Actionkino noch sonst einem Genre zugeordnet werden können – und die nicht weiblich sein wollen. Über eine Regisseurin, die sich jeglichen Zuordnungen widersetzt  ■ Von Verena
Mund

Ein Trailer vorneweg. Was alles passieren wird. Auf uns zukommt. „Genrelust“, „Gewalt als Grenze des Mediums“, „Männerspiele“. In: „Körpereinsatz. Das Kino der Kathryn Bigelow“. Bei einem Buch sagt man gewöhnlich Einleitung, in diesem Buch über Filme von Kathryn Bigelow heißt es Trailer. Es soll um Bilder gehen. Die AutorInnen des Aufsatzbandes interessieren sich nicht so sehr für den „schlichten Plot“. „Wer sich auf die Oberfläche der Geschichte konzentriert, verpaßt eine Menge“, heißt es. Man achte auf die Bilder.

Trailer auch deshalb, weil zunächst ein Trailer beschrieben wird. Der zu „Strange Days“, dem bislang letzten Film von Kathryn Bigelow. Ein Film von 1995 über das Ende von 1999. Daß Bigelow bei diesem Film Regie geführt hat, war nicht leicht mitzubekommen. Die Geschichte vom Marketingkonzept zu „Strange Days“ ist wie aus dem feministischen Bilderbuch. In den Werbeanzeigen machte das unverfängliche „Ein Film von“ einen der beiden Drehbuchautoren und Mitproduzenten kurzerhand zum Regisseur. Kathryn Bigelow tauchte nicht auf.

Bigelows Name sei nur wenigen bekannt, begründete der Verleih sein Vorgehen. „James Cameron“ stehe hingegen – die „Titanic“ war noch nicht unterwegs – für die Kassenschlager „Terminator 2“ und „True Lies“. Wenn er dafür steht, warum dann nicht allein? Warum noch die großen Filme aufzählen? Wozu die beiden Stützpfeiler? Könnten die nicht überhaupt allein werben? Wie bei Gale Anne Hurd etwa, wo auf den Plakaten zu „Das Relikt“ auch nicht mit dem Namen der Produzentin geworben wurde, sondern bloß mit den von ihr produzierten Filmen. „Aliens“ und „Terminator 2“ kamen da gut allein klar.

Eine Frage der Perspektive. (“I thought his guts fell out of his vagina“, sagt etwa die amerikanische Serienheldin Roseanne über ihren ersten Anblick eines nackten Jungen). Wenn in Bigelows „Blue Steel“ Jamie Lee Curtis ihren Widersacher und Ex-Geliebten zum Duell stellt, dann sieht man in Nahaufnahme, wie sie den Reißverschluß ihrer Jacke öffnet, und eine mehrfach wiederholte Großaufnahme zeigt die riesige Smith & Wesson im Schulterhalfter neben ihrem Busen. Alles ist da zusammen. Eine Drohgebärde, die zugleich eine Verlockung ist. Busen wie Colt laden sich gegenseitig als Fetisch auf.

Bigelow arbeitet in Hollywood. Sie macht Genrekino und Mainstream. Genres sind für sie gegeben und damit veränderbar. Film „ist für sie die Arbeit mit gefundenem Material, deren Neukontextualisierung neue Effekte hervorbringt“, schreibt Wolfgang Struck in „Körpereinsatz“. Ein Etikett wie „Actionfilm“ kann da nicht mehr als eine Annäherung sein. Eine Schublade, begrenzt wie alle Schubladen. Auch mit Polizistenfilm, zeigt Gabriele Jofer, kriegt man von „Blue Steel“ nicht sonderlich viel zu fassen. Hauptfigur Megan Turner hat schon durch die Besetzung mit Jamie Lee Curtis eine Menge von Halloween und Horror mit im Gepäck.

Und das wäre nur ein Anfang. Selbst mit Mehrfachetikettierungen wie bei dem als Vampirwestern bekannt gewordenen Film „Near Dark“ erhält man nur unbefriedigende Beschreibungen. Dabei sind es nicht nur weitere Genreversatzstücke, die aufzuzeigen wären. Was mit solchen Einordnungen nur schwer rüberkommt, ist das, was Film sonst noch, was er vor allem kann. Die Musik von „Tangerine Dream“, die stille dunkle Nacht, die grellweißen Lichtkegel, das Blut, das sich im Verlauf des Films mehr und mehr mit dem Ruß von verkohlter Vampirhaut vermischt. Near Dark eben.

Arbeiten am Genre geht nicht ohne das Bearbeiten von Ikonographien. Sonnenlicht fällt in die Scheune, auf einen Sattel, ein Zaumzeug. Und auf einen Cowboyhut. Von dem samt Besitzer jedoch nur ein Schatten zu sehen ist. Caleb hatte seinen Hut verloren, war bei den Untoten. Jetzt hat er ihn zurück. Und einen Schatten wirft er nun auch wieder. Ein Bild aus „Near Dark“, ein Bild, das man auch in „Körpereinsatz“ findet. Als Videoprint, unter vielen, vielen anderen Fotos. Gerade Bigelows komplexe Arbeit mit und am Bild kann so gezeigt werden.

Ein Bild mehr hätte ich mir gewünscht: Die Frau aus „Point Break“, die Keanu Reeves zusammenschlägt. Als die Schießerei losgeht, steht sie unter der Dusche. Die Glaskabine wird zerschossen, und sie hockt schreiend da ohne alles. Reeves duckt sich weiter durchs Haus. Plötzlich taucht sie wieder von rechts auf. Genauso nackt wie vorher, doch diesmal prügelt sie Reeves zu Boden, daß die Titten wackeln. Die Wendung von hilflos nackt zu körperlich überlegen ist eine Bewegung. Hinzu kommt eine visuelle Überraschung: ein gutausehender Frauenkörper, der die Formen nicht wahrt.

Die Hauptfiguren in Bigelows Filmen, abgesehen von „Blue Steel“, sind Männer. Doch die Frauen in diesen Filmen sind ebenso aussagekräftig. Tyler etwa. In „Point Break“ ist sie (gespielt von Lori Petty) eine Randfigur. Als Frau zwischen zwei Männern ist sie eine Projektionsfläche, über die der Bankräuber Bhodi und der verdeckt arbeitende FBI-Agent Utah ihre erotisierte Rivalität vermitteln. Im Gerangel der männlichen Eitelkeiten steht sie außer Konkurrenz, darf nicht stören. Die Frau paßt, soweit ganz klassisch. Doch Tylers Randposition wird auch als Blick eines Dritten auf die Männer genutzt. Sie beobachtet und urteilt. Und diese Eigenständigkeit wird ihr am Ende nicht einfach mit einem Happy-End genommen. Zwar liegt sie dann in Utahs Armen, doch nicht ohne Merkwürdigkeiten. Die hellseidenen Dessous, die sie trägt, hätte man während des Films nicht unter ihren abgeschnittenen Jeans vermutet. Und wie drangeklebt, schreibt Welf Kienast in „Körpereinsatz“, kommt dann noch ein zweites Ende hinterher. Mit den Männern unter sich. Tyler? Who? Das abrupte Nicht-mehr-Vorkommen Tylers hat etwas Unbekömmliches, bereitet Unwohlsein.

Mit Geschlechterrollen geht Bigelow wie mit Genregrenzen um. Sie arbeitet mit gefundenem Material. Die Spuren einer Vampirmahlzeit werden von ihr geschlechtsspezifisch inszeniert. Bill Paxton hat schlechte Manieren. Er redet beim Essen. Und das Blut quillt ihm dabei aus dem Mund. Wenn Mae dagegen sich das Blut von den Lippen wischt, wirkt das Rot auch wie das eines Lippenstiftes. Das hat viel von Klischees, doch im Rahmen dieser unorthodoxen Nahrungsaufnahme treten die auch aus ihrer Selbstverständlichkeit hervor, werden so markiert.

„Körpereinsatz“ ist allein schon als Buch über eine Hollywoodregisseurin eine Seltenheit. „,Liegt Ihnen daran, daß das Publikum in ihren Filmen eine spezifische weibliche Handschrift erkennt?' ,Nein. Ich hoffe, daß ich keine geschlechtsspezifischen Filme mache'.“ Bisweilen gingen Bigelows Reaktionen auf Fragen in diese Richtung auch über Dementis hinaus. „Können Sie ein Gespräch mit einem weiblichen Regisseur führen, das sich nicht ums Geschlecht dreht?“ schnappte sie nach einem Journalisten. Es liegt Bigelow viel daran, als Regisseur zu gelten. Daran, daß man ihr Frausein aus dem Spiel läßt. Aus der Perspektive einer feministischen Literaturwissenschaft, die eine weibliche Autorschaft als ein schwieriges Unterfangen begreift, läßt sich das sehr wohl verstehen. Autor und Frau gehen traditionell nicht zusammen. Der Autor ist Schöpfer, ist autonom. In seinem Tun erhebt er sich über alles. Die Frau soll das nicht können, schreibt Barbara Vinken in „Dekonstruktiver Feminismus“, „weil ihr Schreiben nicht Kreation, sondern nur Ausfluß ihres Seins ist“. Und Frauen sind vor allem eines: Bilder. In der Geschichte des Abendlandes ist die Frau als Akteurin so gut wie nicht überliefert. In der Bilderwelt wird sie dafür im Überfluß verhandelt, argumentiert Silvia Bovenschen in „Die imaginierte Weiblichkeit“. Entsprechend gestalten sich Denken, Wahrnehmung und Erwartungen. Assoziationsketten, die gebildet werden.

Welche Bilder sie macht, ist nicht so sehr das, was Bigelow als Frau auszeichnet. Auch die Bilder, die man sich von ihr macht, sind da nicht groß aussagekräftig. Es ist viel mehr der Umstand, daß Bigelow zum Bild wird, der sie zur Frau macht: „Big Bad Bigelow“ und „die härteste Frau Hollywoods“. Die „universelle Bildfunktion der Frau“, schreibt Sigrid Weigel in „Topographien der Geschlechter“, greift augenblicklich, sobald jemand als Frau wahrgenommen wird. Die Bilder, die Bigelow selbst macht, treten hinter diesem Bild zurück. Anders als bei einem James Cameron. Bei ihm stützen sich sein Bild und sein Agieren gegenseitig. Und läßt Actionfilme, Schlägereien erwarten. Bei Bigelow scheint ein Bild ihr Tun erklären zu müssen. Wieso macht eine Frau sowas? Und schafft sie das überhaupt allein? Steckt da nicht ein Ehemann dahinter, ein Exehemann oder welcher Mann auch immer? Ihre Arbeit wird zur Dienstleistung: „The world's highest-priced dominatrix“ – die weltbestbezahlte Domina. Auch ein zunächst unscheinbarer Titel wie „Körpereinsatz“ kann in Kombination mit einem Frauennamen Assoziationen à la Sexgewerbe auslösen. Wollte man dagegen einen Bigelow-Film kennzeichnen: Dominafilm käme nicht in den Sinn. Ihre Arbeiten finden hier keinen Platz. Obwohl der Titel „Körpereinsatz“ gerade für die Produkte dieser Regisseurin eine feinsinnige, über Actionfilm hinausgehende Beschreibung bietet.

Daß Bigelow selbst Bilder macht, verschwindet bisweilen sogar ganz. Wie bei der Werbekampagne von „Strange Days“. Die ist ärgerlich. Aber sie läßt sich auch als Rohstoff nutzen. Es läßt sich daraus ein Bild machen. Keines von Kathryn Bigelow. Eines von ihrem Verschwinden: ein Film von James Cameron.

Verena Mund, 35, freie Autorin in Köln, organisiert das Internationale FrauenFilmFestival Feminale mit