Bürgerarbeit weltweit beleuchtet

Die zunächst europäisch- amerikanische Diskussion um die Bürgerarbeit hat nun auch in anderen Kontinenten zu Debatten geführt – in Afrika, Asien und Australien. Erste Resultate sind im ersten Band einer vom Münchner Soziologen Ulrich Beck herausgegebenen Reihe zu „Visionen für das 21. Jahrhundert“ unter dem Titel „Schöne neue Arbeitswelt“ nachzulesen. Gewiß scheint: Eine globale Vereinheitlichung von Arbeitsverhältnissen steht nicht zu befürchten – dagegen stehen regionale Traditionen. Eine Rezensio  ■ vonAnnette Jensen

Geregelte Arbeitszeiten, Tariflöhne und sichere Jobs – einst herrschte die Vorstellung, daß sich auch die Länder der Dritten Welt in diese Richtung bewegen könnten. Doch die Entwicklung verläuft umgekehrt: Inzwischen gehört der Mensch, der zunächst in einer Pommesbude jobbt, sich danach als Babysitter verdingt und ab und zu noch ein Büro putzt, zum Alltag der industrialisierten Länder.

Und während einerseits die Produktivität der Wirtschaft wächst und der Bedarf an Arbeitskräften schwindet, werden einfache Dienstleistungen zu einem Billiglohnsektor aufgebläht, um die Illusion von Vollbeschäftigung zu erhalten. Denn immer noch ist gesellschaftliche Teilhabe hierzulande an Erwerbsarbeit gebunden.

„Brasilianisierung des Westens“ nennt Ulrich Beck die Tendenz, soziale Risiken von Staat und Wirtschaft auf die Individuen abzuwälzen. Doch sein neues Buch „Schöne neue Arbeitswelt“ ist keineswegs so pessimistisch, wie der an Aldous Huxleys Vision einer technisierten Welt erinnernde Titel suggeriert. Im Gegenteil: Dem Münchner Soziologen geht es im Hauptaufsatz um eine Änderung der Blickrichtung, die den vielfältigen Biographien der Gegenwart Rechnung trägt und zugleich eine Perspektive gibt: „Die Gegenthese zur Arbeitsgesellschaft ist nicht Freizeit- oder Mußegesellschaft... Es ist die politisch gewendete, selbsttätige, selbstbewußte, politische Bürgergesellschaft.“

Dabei wirft Beck allerdings mehr Fragen auf, als er beantwortet: Wie organisiert man freiwilliges Engagement? Und was ist zu tun, wenn sich der Staat mit Hinweis auf die Bürgerarbeit immer weiter aus der sozialen Verantwortung zurückzieht? Der Essay ist ein Potpourri von Thesen, die sich aus der Diskussion der vergangenen Jahre speisen. Vielfach benennt Beck die Knackpunkte: Wer über die Zukunft der Arbeit spricht, kann über die abnehmende Bedeutung von National- und Sozialstaat nicht schweigen. Und: „Ohne materielle Sicherheit keine politische Freiheit.“ Doch während die Beschreibung der aktuellen Krise oft prägnant formuliert ist, wird es bei der Vision häufig widersprüchlich. Das sieht der Autor offenbar selbst so: „Es geht nicht um Antworten, sondern um das Anfangen.“

Viele Voraussetzungen, die Beck als Grundlage für Bürgerarbeit fordert, beschäftigen Feministinnen und Gewerkschaften schon lange: eine Umverteilung der Familienarbeit zwischen Mann und Frau zum Beispiel. Oder Arbeitszeitverkürzung für alle. Beck glaubt, die Widerstände insbesondere von Männern gegen derartige Änderungen durch ein Recht auf diskontinuierliche Erwerbstätigkeit und die finanzielle Absicherung von Bürgerarbeit brechen zu können. Bürgerarbeit wird „zwar nicht entlohnt, aber belohnt und auf diese Weise sozial anerkannt“.

Das Bürgergeld soll mindestens so hoch wie Arbeitslosen- und Sozialhilfe sein und durch Steuergelder, Sozialsponsoring und selbst erwirtschaftete Beiträge finanziert werden. Dafür greifen die aktiven Bürger Anliegen auf, die von Verwaltung und Politik vernachlässigt werden. Ein Gemeinwohlunternehmer – eine Mischung aus Mutter Teresa und Bill Gates – organisiert Mitgliedschaften und Arbeitsformen.

Während Beck in der sächsisch- bayerischen Zukunftskommission die Position vertreten hatte, bei einem Überangebot von Freiwilligen solle es „kein automatisches Anrecht auf die Beteiligung an Bürgerarbeit“ geben, meint er jetzt: „Bürgerarbeit schließt letztlich niemanden aus, es sei denn, er oder sie schließt sich selber aus.“ Die BürgerarbeiterInnen bestimmen selbst, was das Problem ist und wie sie es bearbeiten wollen. Der Kampf gegen ein Asylbewerberheim in der Nachbarschaft wäre in diesem Sinne dann wohl auch Bürgerarbeit.

Die Abgrenzung von Bürgerarbeit und Bürgerengagement scheint für Beck vor allem in der Finanzierung zu liegen. Und auch der Übergang zur staatlichen Sozialarbeit ist verschwommen. Denn auch auf Streetworker und Lehrer trifft nicht zu, was Beck als Voraussetzung für Erwerbsarbeit definiert: Sie kann nur „dort geleistet werden, wo finanzkräftige Kunden bereit sind, für diese Arbeit zu zahlen.“

Der zweite Buchteil besteht aus vier lebendig geschriebenen Aufsätzen, in denen die AutorInnen beleuchten, wie sich Arbeit, soziale Sicherung, Geschlechterverhältnis und gesellschaftliche Teilhabe in anderen Erdteilen verändern. Deutlich wird, daß zwar die Vielfalt der Jobverhältnisse weltweit zunimmt. Darin eine Vereinheitlichung zu entdecken ignoriert indes den Einfluß der jeweiligen Tradition.

Die Arbeitswelt der USA ist nach wie vor geprägt von den Erfahrungen während der großen Trecks, weist Gerd Mutz nach. Nicht der erlernte Beruf war damals wichtig, sondern die Fähigkeit, immer gerade das zu tun, was gebraucht wurde. Hieraus speist sich die Bereitschaft der US-Bürger, fast jede Arbeit zu übernehmen. Zugleich führte diese Mentalität dazu, daß freiwillige Arbeit für die Öffentlichkeit normaler ist als in Europa. Beide Elemente zusammen prägen die Arbeitswelt in den USA.

Doch jeweils einen Teil des Systems in andere Erdteile zu exportieren, so wie es Neoliberale und Kommunitaristen wollen, führt zu Verwerfungen: In Afrika haben die politischen Führungen sich massiv bereichert, während die Armen immer ärmer wurden. Auch zur sozialstaatlichen Tradition Europas paßt das US-System nicht.

In der muslimischen Gesellschaft Südostasiens spiegelt sich dagegen eine ganz andere Tradition, die westlichen Theorien widerspricht: Trotz ökonomischer Modernisierung hat die Religiosität zugenommen. Die „ulamak“ – Spezialisten für Glaubensfragen – spielen auch in multinationalen Unternehmen eine bedeutende Rolle, wenn es um den Betriebsfrieden geht. An Afrika dagegen ist die Globalisierungswelle bisher weitgehend vorbeigerollt. „Die Erwerbstätigen des informellen Sektors verwenden ihr Einkommen in erster Linie dazu, Kinder, Jugendliche, alte Menschen und Behinderte zu ernähren“, schreibt die Sozialwissenschaftlerin Ruth Bamela Engo-Tiega und kommentiert: „Das ist Bürgerarbeit im besten Sinne.“

Ulrich Beck, Schöne neue Arbeitswelt, aus der zwölfbändigen Serie „Visionen für das 21. Jahrhundert“, Campus-Verlag, Frankfurt am Main, je 36 Mark