: Even titmice get the Blues
■ Der Bluesgitarrist Bug Henderson spielte sich im hübsch verrauchten Club „Meisenfrei“ die Seele aus dem Leib
Sie sind wohl das treueste und beständigste Publikum des Musikgeschäfts: Bluesfans lassen sich durch keine Moden beeinflussen, sind in der Regel männlich, zwischen 30 und 50, tragen ihr Haar lang oder schütter, trinken viel Bier und rauchen Selbstgedrehte. Und in einer Stadt wie Bremen gibt es offensichtlich genug von ihnen, um einen „Blues Club“ florieren zu lassen.
Das „Meisenfrei“ ist solch eine geradezu puristisch aufgezogene Institution (die Meise heißt auf englisch „Titmouse“, so daß eben auch titmice auf den Blues kommen können). Seit knapp anderthalb Jahren spielen dort regelmäßig lokale und internationale Jazzgrößen, und am Donnerstag abend wurde die Blueskneipe dadurch geadelt, daß zum ersten Mal die Jazz- und Popredaktion von Radio Bremen dort ein Konzert aufzeichnete.
Solch eine Blues-Koryphäe wie Bug Henderson hatte bisher das verrauchte Gewölbe in der Hankenstraße auch noch nicht mit seinem Besuch beehrt. Seit knapp 40 Jahren im Musikgeschäft, ist der texanische Gitarrist einer der nicht unbedingt ganz Berühmten, aber unbestritten ganz Großen des Blues.
Wie außergewöhnlich sein Sound ist, konnte man im „Meisenfrei“ sehr genau am Gefälle zu der Vorgruppe bemerken. „Richie Arndt & The Bluenatics“ sind eine solide ihre Musik spielende norddeutsche Bluesband – local heroes, die ebenfalls im Trio und sehr gitarrenzentriert spielen. Die Stimmung war bei ihrem knapp einstündigen Auftritt gut, aber gleich beim ersten, dreckigen Ton aus Hendersons Gitarre merkte man den Unterschied zwischen Epigone und Original.
Der weiße Texaner hat einen sehr rauen, elektrisierenden Sound, er spielt laut, rockig und ständig unter Hochspannung. Im Grunde war sein Auftritt ein einziges, drei Stunden langes Gitarrensolo – Bassist und Schlagzeuger begleiteten ihn extrem wendig, aber eher zurückhaltend, und ein begnadeter Vokalist war Henderson bei den gesungenen Bluessongs nun wirklich nicht. Um so erstaunlicher war, daß sein Spiel nie ermüdete – Henderson schien sich nie zu wiederholen, ihm gelang das Kunststück, die immer gleichen Bluesversatzstücke in ständig neuen, überraschenden Variationen zu spielen.
So wechselte er oft mitten im Stück die Stimmung, schlug mitten aus einem aggressiven Cityblues Haken in eine Ballade mit weinender Gitarre. Henderson erwies sich als ein Meister der Dramaturgie und Dynamik, der das Publikum laufend mit dem scheinbar so Altbekannten überraschte. Seine Gitarrenläufe sind fast so unberechenbar und seltsam wie die von John Lee Hooker, und weil der texanische Bluesstil als besonders eklektisch bekannt ist, konnte Henderson mit der gleichen Leidenschaft beinharten Rock und eine tieftraurige Ballade von Billie Hollyday spielen.
Und das Publikum im Meisenfrei war dieses Auftritts würdig. Wirkliche Bluesfans finden nämlich genau die richtige Balance zwischen Bar-Geplauder, Bier, Rauchen und Zuhören. All das gibt ihnen den Trost des Vertrauten – vielleicht das Einzige, was sich auch über viele Jahre nicht ändert. Deshalb sind die Liebhaber des Blues die wohl treuesten Fans im Musikgeschäft! Wilfried Hippen
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