piwik no script img

Ganz schön hart

■ Mit 17 sind die Hosen weit, die Internate klein, und plötzlich ist man Popstar. Benjamin Lebert mit seinem „Crazy“ im Mojo Club

Wenn sich um 20 Uhr vor dem Mojo eine Menschenschlange windet bis an die Reeperbahn, dann ist es wahrscheinlich: Hier liest wieder einmal ein Benjamin. Denn so war das vor kurzem beim Stuckrad-Barre, und so war es auch am letzten Dienstag beim Lebert, Benjamin. Seinen Roman Crazy - erschienen vor fünf Wochen mit einer Startauflage von 30.000 Exemplaren, sofort vergriffen, nachgedruckt und mittlerweile 100.000fach ausgeliefert - wollten viel mehr Menschen vorgelesen bekommen, als in den Mojo passen. Was sind das für Menschen?

Kürzlich hat Elke Heidenreich Crazy im Spiegel empfohlen - durch die Lektüre habe sie endlich verstanden, wie diese jungen Leute mit den seltsamen weiten Hosen so denken. Immerhin! Solche Menschen, wie sie am Dienstag eng aneinander gekuschelt auf dem Mojo-Boden saßen und Bier trinkend lauschten, während ein 17jähriger mehrfacher Sitzenbleiber und nun Schulabbrecher aus seinem kleinen Internatsroman vorlas - solche Menschen werden wohl in 30 Jahren den Spiegel vollschreiben.

Vor der Veranstaltung war vielfach die Rede von einem „One-Man-Boygroup-Konzert“ (eine Lesung als Stadtgespräch!), und tatsächlich tauchten hier viele junge Mädchen auf, die eher N-Joy Radio hören als das NDR-4-Hörspielprogramm, doch hatten sie weder Plüschtiere noch ihre junggebliebenen Mütter mitgebracht.

Nun ist Benjamin Lebert aber auch wirklich nicht vom Typ „Boygroup-Mitglied“, das hatten uns einige gewitzte Magazin-Fotografen nur vorgetäuscht. Statt dessen gilt: Er ist ein sympathischer junger Mann, der gern aufschreibt, was er sieht und denkt, und von dem Böses zu reden bösartig wäre.

Schrecklich aufgeregt wackelte er zunächst auf seinem Stuhl herum, trank literweise Spezi und las und las aus seinen mit Fiktionen aufgemischten Erinnerungen an Freunde, Ängste, Erlebnisse und verrückte Ideen. Vieles fand das Publikum lustiger, als es eigentlich ist, aber das war gut so, denn es machte den Vorleser locker, so daß er kecke („Ich lass' mal etwas aus, das kann man dann nachlesen“) und kluge Randbemerkungen wagte.

Sein einziger Fehler: die Frage: „Was soll ich denn jetzt noch lesen?“, denn die lautesten Zuhörer beharrten auf der Crazy-Sex-Szene, der Geschichte vom ersten Mal. „Freunde, ich kann euch sagen, das ist ganz schön hart“ und „Mein Gott, es war schon schwierig, das zu schreiben“ - aber gelesen hat er's dann doch, der Arme.

Am Ende großer Jubel und viele Fragen („Wie hat das Buch Dein Leben verändert?“, „Was sagen Deine Freunde dazu?“ usw.) sowie bis zu 45 Minuten Anstehen für Widmung und Autogramm ... Hoppla, Benjamin Lebert, nun bist Du ein Popstar.

Nele-Marie Brüdgam

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen