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Betriebsrat gefeuert wegen 19 Mark

■ Deutsche Linoleum Werke entlassen vier Betriebsräte wegen zu hoher Spesenabrechnungen / Reine Rache, kontern die Betroffenen, weil sie der Geschäftsleitung zu unbequem waren

Delmenhorst. Der Ärger im Zweigwerk der Deutschen Linoleum Werke (DLW) Delmenhorst nimmt kein Ende: Die Geschäftsleitung der 620köpfigen Belegschaft hat vier Mitglieder des Betriebsrates, unter ihnen auch der Vorsitzende Detlef Kuhnke, eine fristlose Kündigung ins Haus geschickt. Der Vorwurf: versuchter Betrug. Dabei geht es um fehlerhafte Reisekostenabrechnungen, die den Gefeuerten einen „geldwerten Vorteil“ zwischen 19 und 50 Mark verschafft haben sollen.

Schon vor einem Jahr hatte es einen deftigen Hauskrach bei den Linoleumwerken gegeben, als eine Mehrheit im vorherigen Betriebsrat mit dubiosem Stimmenkauf über Freistellungsversprechen und Krankenbesuche die Macht behalten wollte. Das Oldenburger Arbeitsgericht hat die Betriebsratswahl vom März 1998 inzwischen für ungültig erklärt (wir berichteten).

Für Detlef Kuhnke, der deswegen seit dem 2. Juli 1998 neuer Betriebsratsvorsitzender der DLW und – im Gegensatz zu seinen Vorgängern – erklärter Gegner eines Schmusekurses mit der Geschäftsleitung ist, sind die aktuellen Kündigungen ein klarer Fall: „Es handelt es sich um einen Racheakt. Weil wir nicht auf der Linie der Geschäftsführung sind, sollen wir jetzt kaltgestellt werden.“ Im ersten Anlauf verbot das Management der DLW dem Betriebsratsvorsitzenden sogar das Betreten des Werksgeländes. Doch schon einen Tag später machte der Geschäftsführer Fred Tornau einen Rückzieher. Kuhnke: „Der DGB hat die Herren darüber belehrt, daß ich mein Mandat als freigestellter Betriebsrat im vollen Umfang ausüben darf.“

Ganz anders sieht Geschäftsführer Tornau den Fall: „Der Betriebsratsvorsitzende hat selbst eingeräumt, daß er Gewinn bei der Spesenabrechnung gemacht hat. Das ist Vorsatz und ganz klar ein Grund für eine fristlose Kündigung. Das hat nichts mit dem Betriebsrat zu tun. Jeder Angestellte wäre entlassen worden.“ Die Argumentation des Betriebsrates ist für ihn reine Taktik, um von dem Fehlverhalten abzulenken und das Kündigungsverfahren zu verlängern.

Denn eben dies wird jetzt kompliziert. Einer fristlosen Kündigung muß der Betriebsrat zustimmen. Der verweigerte dieses An-sinnen, weshalb nun ein Arbeitsgericht entscheiden muß. Danach können die vier Betriebsratsmitglieder ihrerseits wieder gegen die dann möglicherweise rechtskräftige Kündigung Einspruch einlegen.

Und genau das wollen sie tun. Denn die vier Gefeuerten sagen, daß die Reisekosten auch in der Vergangenheit so lasch abgerechnet wurden. Der Vorsitzende Kuhnke: „Wir sind alle zwischen elf und 23 Jahre im Betrieb und haben es nicht nötig, uns um 19 oder 50 Mark zu bereichern. Einen Vorsatz dementieren die vier Beschuldigten. Sie halten an ihrem Vorwurf der Rache fest. In einem Fall habe die Geschäftsführung sogar eine Rechnung vom August 1998 ausgegraben. Anfang der Woche hatte es darum auch eine Betriebsversammlung mit 400 Beschäftigten gegeben, die die Geschäftsleitung minutenlang auspfiffen.

Als Konsequenz aus dem aktuellen Fall und aus dem Urteil des Oldenburger Arbeitsgerichts wird der gesamte Betriebsrat heute zurücktreten. Auch um eine betriebsratslose Zeit zu verhindern und den Weg für Neuwahlen freizumachen. Kuhnke: „Das paßt uns zwar auch nicht ganz, aber es gibt keine andere Möglichkeit.“

Peter Vogel/Jens Tittmann

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