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■ DaumenkinoFamilien-Sitcom

Ob gleißendes Licht oder schwebende Greise: Wenn Menschen eine göttliche Erscheinung haben, nennt man das in bibelfesten Kreisen Epiphanie. Für „Sitcom“ hat François Ozon eine weiße Ratte als Sinnbild des Heiligen gewählt. Jeder, der in seinem Spielfilmdebüt mit dem Tier in Berührung kommt, wird sein Leben ändern.

Daß dies nicht immer zum Wohl der Beteiligten gedeiht, gehört zum Spiel mit dem Genre. Ozon möchte in seiner Komödie die Abseitigkeiten aus der Welt der Fernsehfamilien Richtung Horror-, Splatter- und B-Movies erweitern. Vor allem läuft bei dem 1967 geborenen Regisseur religiöse Erweckung auf allerlei sexuelle Irrungen und Wirrungen hinaus – wer Ratten küßt, der fickt auch seine Mutter. Bei Ozon zumindest gibt es eine ganze Menge Inzest, SM-Parties und Liebe zum nagenden Getier.

Dabei will „Sitcom“ eigentlich nur zeigen, wie eine bürgerliche Kleinfamilie am Rand von Paris allmählich aus dem Leim gerät. Als Hausvater kümmert sich Jean offenbar seit Jahren nicht mehr um die zerrütteten Verhältnisse. Die Homosexualität seines Sohnes Nicolas tut er als jugendlichen Leichtsinn ab; und als sich Sophie aus dem Fenster stürzt, hat er nur ein paar tröstende Worte für seine Tochter, die fortan im Rollstuhl durchs Leben wirbeln muß. Mal hängt das Gothic-Girlie deshalb Selbstmordgedanken nach, mal läßt sie ihren Freund am Hundehalsband auf dem Boden kriechen, bis er weinen muß. Zum Glück bringt ihn die Maghreb- Haushälterin Maria mit Knetübungen aus dem Orient zu einer anständigen Erektion.

So hangelt sich die gesamte Mischpoke ein wenig bemüht von Tabu zu Tabu. Nicolas holt sich gepiercte Techno-Clubber und ältere Doktoren zu Monopoly- Abenden und Zucchini-Exzessen nach Hause; Marias afrikanischer Ehemann Abdu macht sich als Sportlehrer an seine Zöglinge heran; und Sophie wird immer schmolliger, weil Vater nicht mit ihr ins Bett steigt. Doch zu diesem Äußersten kommt es nicht: „All diese Szenen führen zur Gruppentherapie, die den Vater vom Rest der Familie ausgrenzt“, resümiert Ozon, und man ahnt, wie sich das Drama der Kleinfamilie am Ende blutig entlädt. Schließlich hatte man schon in der Anfangssequenz die entsprechenden Pistolenschüsse gehört.

Was immer Ozon mit seinem Film an Geschlechterfragen provozieren will, am Ende geht die Geschichte allzu brav in einer überkorrekten Kritik am Patriarchat auf. Erst wenn der letzte Vater tot im Grabe liegt, können all die anderen Identitäten in Frieden driften. Was sich als schwule Utopie liest, verflacht im Film allerdings mit jedem Tropfen Kerzenwachs, der da über die Leiber tröpfelt. Jede mit jeder, jeder mit jedem – und Gott sieht alle. Harald Fricke

Sitcom. Regie: François Ozon; F 1998, 85 Min.

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