: „Die Welt hat ihn als Mörder verurteilt“
■ Eine Boing 707 der chilenischen Luftwaffe fliegt leer zurück nach Santiago. Auf der Wiese vor dem Westminister Parlament bereiten Anhänger und Gegner von Pinochet ihre Kampagnen der nächsten Wochen vor. Die Freunde des Generals haben viel Geld und Unterstützer bei den Tories.
Die Koffer waren schon gepackt. Auf dem Flugplatz der britischen Luftwaffen Brize Norton stand eine Boeing 707 der chilenischen Armee bereit, um Chiles Ex-Diktatur Augusto Pinochet und seine Frau Lucia nach Hause zu fliegen.
Doch dann kam es anders. Richter des Londoner Oberhauses, der höchsten britischen Rechtsinstanz, wollten dem chilenischen Ex-Diktator keine Straffreiheit in seiner Eigenschaft als ehemaligem Regierungschef zusprechen. Von dem Urteil ihrer fünf Amtskollegen, die Ende November bereits einmal über die gleiche Frage zu entscheiden hatten, weicht der Spruch dennoch deutlich ab: Nach Spanien ausgeliefert werden könne Pinochet lediglich aufgrund von Verbrechen, die zum Zeitpunkt der Tat auch in Großbritannien strafbar gewesen seien – also seit 1988, als Großbritannien die internationale Anti-Folter-Konvention unterzeichnet hat.
Als das Urteil gestern nachmittag bekannt wurde, brachen die chilenischen Demonstranten vor dem Westminster Parlament in Jubel aus. „Die Welt hat ihn als Mörder verurteilt“, sagte einer von ihnen. „Der Rest ist nur noch eine technische Frage.“ Eine Chilenin, deren Vater unter Pinochet ermordet wurde, sagte, es sei gar nicht so wichtig, ob der General letztendlich ausgeliefert werde: „Entscheidend ist, daß das Oberhaus bestätigt hat, daß er keine Immunität für seine Verbrechen genießt. Es ist eine Botschaft an alle Diktatoren dieser Welt.“
Kurz vor der Urteilsverkündung tauchte Pinochet dann selbst vor dem Parlament auf – zumindest war die Pinochet-Maske aus Pappmaché, hinter der sich ein Chilene verbarg, sehr realistisch. Er sagte: „Pinochets Anhänger meinen, man sollte ihn aus Altersgründen freilassen. Aber er wird in einem Landhaus versorgt, das sich 99 Prozent der britischen Bevölkerung nicht leisten könnte. Er hat ständig Zugang zu seinen Anwälten, zu chilenischen Regierungsbeamten und zu seiner Familie. Die Familien seiner Opfer suchen dagegen immer noch nach Verschwundenen, sie wissen nicht, wo und wie sie getötet wurden und warten darauf, daß ihre Mörder zur Rechenschaft gezogen werden.“ Der chilenische Menschenrechtler Luis Macchiavelle sagte, man könne das Urteil als Teilsieg sehen, aber es sei mehr als das: „Die Lordrichter haben entschieden, daß Pinochet sich für seine Verbrechen verantworten muß.“
Auch der Labour-Abgeordnete Jeremy Corbyn sprach gestern von einem Sieg der Menschenrechte. „Ich bin froh, daß er sich den Vorwürfen der Folter und des Mordes stellen muß“, sagte er. „Er bleibt in Haft, und ich rechne fest damit, daß Innenminister Jack Straw seine Entscheidung vom Dezember bestätigten wird, wonach das Auslieferungsverfahren eingeleitet werden kann. Natürlich bin ich enttäuscht, daß nur die Verbrechen nach September 1988 für das Verfahren zugelassen sind, aber nach 25 Jahren ist es ein Sieg für die Menschenrechte.“
Durch die Einschränkung auf Fälle nach 1988 bleiben von den 30 spanischen Anklagepunkten nur drei übrig. Die spanischen Behörden werfen Pinochet aber auch vor, mit den Agenten der Geheimpolizei „DINA“ ein Mordkomplott ausgeheckt zu haben, als er in Madrid war. Das würde nicht unter die Restriktionen aufgrund des Gesetzes von 1988 fallen.
Pinochets Anhänger reklamierten ebenfalls den Sieg für sich. Eine Handvoll von ihnen hatte sich vor dem Oberhaus eingefunden. Eine junge blonde Chilenin bezeichnete den Diktator als „Vater der Demokratie“. Sie sagte: „Was Großbritannien hier mit ihm anstellt, ist falsch und verstößt gegen internationales Recht.“ Der chilenische Senator Ignacio Perez Walker sagte, er sei zu 90 Prozent mit dem Urteil zufrieden: „Am Ende wird Pinochet rehabilitiert sein.“
Es ist jedoch noch ein langer Weg, bis der Fall Pinochet abgeschlossen sein wird. Am 6. April steht der nächste Haftprüfungstermin an. In Großbritannien kann der Ex-Diktator nicht angeklagt werden. Generalstaatsanwalt John Morris hat entschieden, daß die Privatklage gegen Pinochet wegen Mordes an dem britischen Geschäftsmann William Beausire, der 1974 in Argentinien gekidnappt worden war, nicht zulässig ist.
Pinochets Anhänger und Gegner werden ihre Kampagne in den kommenden Wochen verstärken. Pinochets Anhänger, allen voran die frühere Premierministerin Margaret Thatcher, haben Geld. Zwei Millionen Pfund sind in die Kasse für Pinochets Kampagne für die Freilassung geflossen. Die Strategen dieser Kampagne trafen sich am Montag, geleitet wurde die Sitzung von Thatchers ehemaligem Schatzkanzler Norman Lamont.
Die Anhänger des Generals haben kurz vor Weihnachten die „chilenische Versöhnungsgruppe“ gegründet. Sie holten mehr als 600 Pinochet-Anhänger aus Santiago. Bezahlt wurden die Flüge von der Pinochet-Stiftung, chilenische Geschäftsleute. Ralf Sotscheck/London
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen