Kommentar: Pinochet - ein Verbrecher
■ Britische Richter lassen Ex-Diktator nicht nach Hause fliegen
Die Grundsatzentscheidung ist gefallen: Gewalttaten, auch wenn sie ein Staatschef begangen oder angeordnet hat, können strafrechtlich verfolgt werden. Wer befürchtet hatte, die lange Zeit, die sich die britischen Lordrichter für ihre Entscheidungsfindung nahmen, werde schließlich Pinochet direkt ins Flugzeug nach Hause befördern, kann aufatmen. Jetzt liegt es zum zweiten Mal am britischen Innenminister Jack Straw, dem Fortgang des Auslieferungsverfahrens grünes Licht zu erteilen. Er sollte sich nicht scheuen, auch ein zweites Mal Standfestigkeit zu beweisen.
Zwar haben die britischen Lordrichter die Anklagemöglichkeiten der spanischen Justiz deutlich eingeschränkt, indem sie sich auf das Datum der Unterzeichnung der Internationalen Antifolterkonvention durch Großbritannien beriefen. Aber: Sie begründen das lediglich mit dem in Auslieferungsverfahren immer gültigen Rechtsgrundsatz, daß eine Straftat, die dem Angeklagten vorgeworfen wird, auch in dem Land strafbar sein muß, das ausliefert. Damit behandeln sie Pinochet wie einen gewöhnlichen Kriminellen – und das ist mehr, als man hatte hoffen können.
Pinochet, das Sinnbild für Gewaltherrschaft im Lateinamerika der 70er und 80er Jahre, bleibt in Gewahrsam und wird voraussichtlich nach einem langwierigen juristischen Verfahren an Spanien ausgeliefert werden. Ob der 84jährige einen Urteilsspruch noch erlebt, ist fraglich, und wenn, müßte er diese Haft nach spanischem Recht aus Altersgründen gar nicht mehr antreten. Das aber tut nichts zur Sache. In jedem Fall haben die Lordrichter bestätigt: Folter und Mord sind strafbar, auch wenn sie von Staatschefs angeordnet oder begangen werden. Kein Ziel rechtfertigt diese Mittel.
Die Festnahme Pinochets in London, die vielfältigen Reaktionen im Ausland haben klargemacht, daß das offizielle Chile mit seinen Amnestiegesetzen und seiner Verherrlichung des Militärputsches als nationaler Feiertag alleine dasteht. Für die anderen ist Pinochet, so das Urteil, nicht der Retter vor dem Kommunismus, sondern ein Verbrecher. Für die Opfer ist diese Anerkennung wichtiger als die Frage, wie lange Pinochet tatsächlich in irgendeiner Zelle sitzt. Es liegt jetzt an der chilenischen Gesellschaft, den Demokratisierungsprozeß fortzuführen, der mit der Verhaftung Pinochets im Oktober einen neuen Anstoß bekommen hat. Bernd Pickert
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