: Europa im Kühlschrank
Europäische Geschichte eisgekühlt: eine Ausstellung in der Finanzbehörde ■ Von Stefanie Heim
„Als mein Opa gestorben ist, haben wir bei der Wohnungsauflösung auch so einen bulligen 50er-Jahre-Kühlschrank in der Wohnung gefunden“, sagt Johannes Engmann, Schüler der Europaschule Gymnasium Hamm. Jugendliche wie er besuchen die Hamburger Finanzbehörde eher selten. Gestern jedoch stürmten gleich zwei Schulklassen den Leo-Lippmann-Saal und machten sich über die dort ausgestellten Kühlschränke her. Eßbares fand sich darin nicht. Die Eisschränke im Saal dienen einem anderen Zweck: Sie sollen Jugendlichen die Europäische Union „begreifbar, durchschaubar und erlebbar machen“.
Mit diesen Worten eröffnete die Hamburger Vertreterin der Europäischen Kommission, Gaby Holtrup, gestern die Wanderausstellung „kurs:europa. europäische integration seit 1945“. Warum für das europäische Anliegen ausgerechnet Kühlschränke gewählt wurden, weiß sie auch nicht so genau. Vielleicht, um Geschichte einzufrieren? Etwa die 70er Jahre, die mit Anti-Atom-Aufklebern an der Eisschranktür daherkommen. Obenauf ein Megaphon, im Kühlfach diverse Hippieklamotten.
„Der Kühlschrank erinnert mich an meine siebenjährige WG-Zeit in Bremen und Mannheim“, amüsierte sich Stadtentwicklungssenator Willfried Maier (GAL), der zugleich Europabeauftragter des Hamburger Senats ist. „Da lagerten dann auch immer unsere Fundstücke von irgendwelchen Demos drauf – das waren schließlich rituelle Kampftänze.“
Umweltschutz und Politik sollen sich wie ein „grüner Faden“ durch die Ausstellung ziehen: dargestellt durch Pfähle aus dem recycelten Pappkern von Teppichrollen, gekrönt von Fotos, Landkarten, Textzitaten und Deckeln, unter denen sich Karikaturen aus Tageszeitungen befinden. All diese Ausstellungsstücke führen zu fünf Eisschränken, die jeweils ein Jahrzehnt seit 1945 symbolisieren. Auf dem runden Avantgardekühlschrank der 90er Jahre liegt ein Handy, das viele Schüler gleich ausprobieren. Gefüllt ist er mit landestypischen Produkten der EU, Sauerkraut liegt neben Parfum, ein spanischer Fächer neben einem Tamagotchi.
Senator Maier zumindest ist angetan, er findet die „Epochenkonzentrate sehr anschaulich“. Sein eigener Kühlschrank entspricht nicht unbedingt der Avantgardeausführung und beherbergt nur Obst, Brot, Weißwein und Joghurt. Aufgefüllt wird er nur vor dem Wochenende, wenn Maier sich mal nicht mit Politik, sondern mit spannenden Kochrezepten beschäftigt.
Die Ausstellung „kurs: europa. europäische integration seit 1945“ ist noch bis zum 27. April im Leo-Lippmann-Saal der Finanzbehörde, Gänsemarkt 36, zu sehen. Infos und Führungen für Schulklassen bei Martina Kurth von der Senatskanzlei, 428 31 16 47
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