„Wir sind entsetzt und atemlos“

■  Der Kosovo-Einsatz der Bundeswehr verunsichert die Hauptstadt. Die Friedensbewegung ist klein, die Linke gespalten. Eine Spurensuche unter ratlosen Pazifisten, geschockten Künstlern sowie jenen, die noch immer zu wissen glauben, was zu tun ist

„Wir sind entsetzt und atemlos“, sagte Laura von Wimmersperg. Wimmersperg ist die Moderatorin der Berliner Friedenskoordination, der 120 Friedensgruppen in der Stadt angehören. Zwar könne – mit aller Vorsicht gesprochen – „der Konflikt zu einem dritten Weltkrieg führen“. Dennoch stießen die Anliegen der Friedensbewegung bei den Berlinern kaum auf öffentliche Unterstützung. „Die Leute sind völlig desinformiert“, sagte sie, „und wer viel weiß, fühlt sich ohnmächtig.“

Seit dem Beginn der Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien ist die Berliner Linke ratlos und gespalten. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg ist Deutschland wieder aktiver Kriegsteilnehmer. Doch anders als beim Golfkrieg vor acht Jahren finden sich kaum Menschen, die auf der Straße protestieren. Ist die Friedensbewegung mit dem Beginn des Bombardements endgültig am Ende?

Ralf Siemens ist da optimistischer. Der Sprecher der Berliner Kampagne gegen Wehrpflicht meint, daß „die Reste der Friedensbewegung“ mit anhaltendem Bombardement serbischer Städte „stärker werden könnten“. Derzeit sei die Bewegung in der „moralischen Zwickmühle“, einerseits das Morden an den Albanern nicht dulden zu wollen, andererseits gegen einen Militärschlag zu sein. In diese Zwickmühle sollte man sich jedoch nicht drängen lassen, meint Siemens. „Wir haben schließlich schon vor Jahren auf andere Lösungen des Kosovo-Konflikts aufmerksam gemacht.“ Diese seien aber „nicht gesucht und unterstützt worden“. Teile der Friedensbewegung seien zudem gelähmt, weil die Grünen an der Regierung sind.

Das Verhalten der Grünen an der Regierung ist auch für Hans Peter Hauschild, den Sprecher der Berliner Gruppe von Pax Christi, der katholischen Friedensbewegung, eine „große Enttäuschung“. Durch die Angriffe werde eine „Solidarisierung unter den Serben herbeigebombt“. Die Friedensbewegung sei klein, auch deshalb, da die Geduld abnehme, Konflikte schon vor ihrem Ausbruch durch Friedensarbeit zu entschärfen.

Der Krieg mitten in Europa – er verunsichert viele in der Stadt. Wie eine „Schocknachricht“ habe bei den Gemusterten die Meldung vom Bombardement eingeschlagen, berichtet der Leiter des Berliner Kreiswehrersatzamtes, Elmar Gräber. Zum ersten Mal müßten sich die jungen Männer mit der Frage des Einsatzes ihrer Armee im Krieg auseinandersetzen.

Auch die Kulturszene ist unsicher, gespalten und hilflos. Irene Moessinger, Chefin des Tempodroms: „Mir war klar, daß das Bombardement passieren wird. Miloevic denkt anders, der ist ein Despot.“ Politisch sei der Angriff zwar notwendig gewesen. Die Geschichte aber habe bewiesen, daß Gewalt und Gegengewalt nicht zu langfristigen Lösungen führten. „Grundsätzlich finde ich es nicht verwerflich, daß Deutschland innerhalb eines militärischen Bündnisses an solch einem Einsatz teilnimmt“, meint Moessinger. Der Einsatz der Alliierten gegen Hitler beispielsweise sei gerechtfertigt gewesen.

Schlicht empört dagegen ist Leonie Bauman, Geschäftsführerin der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst: „Der Einsatz von Waffen ist ein antiquiertes Mittel, um ethnische und politische Probleme zu lösen.“ In diesem schon lang anhaltenden Konflikt hätte man schon vorher mit anderen Methoden eingreifen müssen. „Der Westen aber handelt immer nur dann, wenn er damit politischen Einfluß gewinnen und finanzielle Vorteile daraus beziehen kann.“

Ganz anders sieht das Sebastian Turner, der Geschäftsführer der Werbeagentur Scholz & Friends. Er hält die Nato-Aktion für richtig, denn es ist „furchtbar, was dort im Kosovo passiert“. Die „Spielregeln der Demokratie helfen der Diktatur“, so Turner, da der Westen nicht so brutal vorgehen dürfe wie der serbische Diktator. Der Westen könne sich den Einsatz von Bodentruppen mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung nicht leisten. Gleichwohl befürchtet der Werber, daß der Krieg letztlich nicht zu gewinnen sei. So werde die Tragödie der Völkerverstümmelung weitergehen. Allerdings stellten auch die traditionellen Strategien der Friedensbewegung für ihn keine Alternative dar: „Sie hat sich in den achtziger Jahren an innenpolitisch geprägten Klischees orientiert. Damals waren die Amerikaner die Bösen. Mit dem Ergebnis der Nachrüstung, nämlich dem Verschwinden der Diktaturen im Ostblock, hat sich die Friedensbewegung ad absurdum geführt“, sagt Turner. Jetzt sei die Orientierung schwerer, die Schubladen paßten nicht mehr. Deshalb habe sich im Vorfeld keine neue Friedensbewegung gebildet. „Das kann aber kommen, wenn das Grauen täglich live im Fernsehen übertragen wird.“

Mit ähnlicher Stoßrichtung argumentiert Elmar Pieroth, Südosteuropa-Beauftragter des Regierenden Bürgermeisters und Ex-Wirtschaftssenator: „Mein erster Gedanke, als ich von den Angriffen erfuhr – hätten die Franzosen und Briten 1933 schon so drastisch auf Hitler reagiert, wäre unserem Land viel erspart geblieben.“ Zwar sei es für die Nato „Pflicht“ gewesen, einen Waffengang so weit wie möglich hinauszuzögern, aber jetzt gebe es keine Alternative.

Aber darf die Bundesrepublik überhaupt bomben? Der Friedensforscher Ulrich Albrecht von der FU hält den Angriff schlicht für völkerrechtswidrig: „Ich war verblüfft, wie wenig Rechtsempfinden selbst bei der neuen rot-grünen Bundesregierung vorhanden ist.“ Schließlich sei die Nato als Verteidigungsbündnis konzipiert und der Angriff nicht durch ein UN-Mandat gedeckt. „Auch sind Bombenschläge gegen die serbische Infrastruktur kaum das richtige Mittel, um die Verfolgung der Kosovo-Albaner durch die Serben zu stoppen.“ Anders als der Golfkrieg sei dieser Konflikt räumlich nahe, und das bedeute: „Diesmal werden wir ehrlichere Fernsehbilder zu sehen bekommen.“ Deshalb hofft Albrecht auf einen stärkeren Zulauf zur Friedensbewegung.

Erste Anzeichen dafür waren am Donnerstag abend auf dem Breitscheidplatz zu sehen. Nach Angaben der Organisatoren versammelten sich etwa 5.000 Demonstranten (nach Ansicht der Polizei waren es nur 500), um gegen den Nato-Schlag zu protestieren. Fritz Teppich, als Jude vor den Nazis geflohen und seit langem in der Friedensbewegung aktiv, nannte das Bombardement einen Wendepunkt in der europäischen Geschichte: „den ersten Waffengang gegen einen souveränen Staat in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg – und wieder sind die Deutschen gegen Serbien dabei“.

Philipp Gessler, Annette Rollmann, Ilja Weitzel