: Die Masche mit der Masche
■ Weibliche Gehwerkzeuge und ihre legendären Ausbesserungen
Als Wallace Hume Carothers 1937 das Nylon erfand, schien die Demokratie endlich auch den lange vernachlässigten Bereich der Beinbekleidung eingeholt zu haben. Teilte sich vor Entwicklung der No-Runs die Tortengrafik der weiblichen Bevölkerung doch in den unterprivilegierten Bodensatz der Wollstrumpfträgerinnen und die hauchdünne Crèmeschicht derer, die sich den Luxus von Seidenstrümpfen leisten konnten. Mit den Nylons endlich war die elegante Präsentation der weiblichen Gehwerkzeuge kein Privileg der betuchten Kreise mehr, das Millionenheer der Stenotypistinnen riß den Verkäuferinnen der Strumpfgeschäfte die neue „Wunderwaffe“ förmlich aus den Regalen ...
Doch wo Licht ist, ist auch Schatten, oder, um es mit den Worten Wallace Hume Carothers zu sagen: „Wo Strümpfe sind, da sind auch Maschen.“ Segen und Fluch der Technik machten nicht vor dem synthetischen Wunderstrumpf halt. Erst langjährige Laufmaschenforschung und unzählige Testreihen konnten den letzten Makel von wohlgeformten Frauenbeinen tilgen.
So sehr es der Damenwelt vergönnt sein mag, daß durch die Entwicklung definitiv laufmaschensicherer Feinstrumpfhosen ein lästiges Kapitel der Toilettenfehler als weitestgehend abgeschlossen gelten kann, so sollten doch auch die arbeitsmarktpolitischen Effekte dieser „Revolution auf dem Gebiet der Beinerscheinung“ ins Blickfeld der Öffentlichkeit rücken.
An dieser Stelle (Wo sonst?) muß deshalb auch an das Schicksal Tausender von Laufmaschendiensten erinnert werden, die unseren „besseren Hälften“ durch die Jahrzehnte kostengünstige Ausbesserungen ihrer Feinbeinkleider ermöglichten.
Als ein Beispiel unter vielen sei hier nur der „Laufmaschenist“ Horst Göltz genannt, dessen Lebensgrundlage durch das allzu plötzliche Verschwinden der Strumpfmängel entzogen worden ist. Er, der sich in seinem Bad Godesberger Laufmaschenstudio als ausdauernder Helfer der maschengeplagten Damenwelt bewährt hatte (man erinnere sich nur an die legendäre Ausbesserung von Sorayas Strümpfen im Frühjahr 1956, als Horst Göltz während des Gala-Diners im Palais Schaumburg zum ersten Mal eine Laufmaschentilgung am lebenden Bein ausführte), auch er mußte sich durch die Verbesserung der Maschensicherheit ins Milliardenheer der Arbeitslosen einfädeln. Wie der legendäre Kunststopfer später schmunzelnd berichtete, konnte er während dieses ungewöhnlichen Arbeitseinsatzes unter Tische, nur verborgen durch die bis zum Boden reichende, blütenweiße Damasttischdecke, quasi im Vorüberkriechen, einen, dem unaufmerksamen Betrachter kaum sichtbaren Mangel an Ollenhauers Perlonkniestrümpfen beheben.
Plage der Damen, Segen der Herren: So schön sich der Fortschritt in der Maschentechnologie auch auf die makellose Erscheinung ausgewirkt haben mag, so sollte zu guter Letzt doch auch bedacht werden, daß der Herrenwelt mit dem Verschwinden der Laufmasche ein wunderbar zwangloser „Anknüpfungspunkt“ ohne Not zunichte gemacht wurde.
Zur Illustration dieses Zusammenhangs sei hier nur an die Begegnung Kurt Böhnleins mit seiner späteren Frau Inge Sichel erinnert, über die unser Gewährsmann Horst Göltz in seinem Memoirenband „Von Maschen und Menschen“ berichtet: Kurt Böhnlein, der notorische Schwerenöter der Wiener Theaterszene der 50er Jahre, hatte während der Probe für Ibsens „Peer Gynt“ am Bein seiner Partnerin Inge Sichel eine Laufmasche entdeckt und beim anschließenden zwanglosen Beisammensein in der für ihn so typischen Art sogleich den buchstäblichen Finger auf diesen kosmetischen Makel gelegt.
Ohne allzusehr in die Details der von beiden noch in der gleichen Nacht in Angriff genommenen Ursachenforschung eindringen zu wollen, kann doch soviel gesagt werden – Böhnleins Hinweis führte die beiden Theaterleute zusammen und stiftete zunächst einen Bund fürs Leben. Daß Inge Sichel heute nur noch ungern an diese Episode ihres bewegten Bühnenlebens erinnert wird, mag daran liegen, daß Kurt Böhnlein in den folgenden Jahren noch so manche Masche am Bein junger Bühnenpartnerinnen zum Laufen brachte ... Rüdiger Kind
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