piwik no script img

Der Winter möge kommen

■ Das 0:9-Debakel in Spanien löst eine mittelschwere Identitätskrise in Österreich aus

Wien (taz) – Fußballzwerge, so meinte man, seien ausgestorben. Jene Mannschaften aus exotischen Ländern, die man vor den Zeiten der Political Correctness überheblich die „Bloßfüßigen“ nannte und mit Tororgien vom staubigen Platz fegte, gibt es nicht mehr. Selbst San Marino, das weniger Einwohner hat als ein Wiener Arbeiterbezirk, ließ sich letzten Oktober nur ein 4:1 abtrotzen. An die schmachvolle 0:1 Niederlage 1990 auf den Färöer-Inseln wollen wir gar nicht denken. Und jetzt ist ausgerechnet dem neuen Wunderteam, der Mannschaft des Herbert Prohaska, die sich bei der WM in Frankreich mit Ex-Weltmeister Italien messen durfte, der Beweis gelungen, daß die Zwerge munter weiterleben. Nur 1908, so ergaben die Forschungen im Archiv der Schande, wurde die Mannschaft Österreich- Ungarns in England noch vernichtender zermalmt. Dem 1:11 folgte wenige Jahre später der Untergang der Habsburger Monarchie.

„Ein Rückfall in die Fußball- Steinzeit“ gehörte noch zu den schmeichelhaften Schlagzeilen, die sich die Sportredakteure der Sonntagszeitungen in ihrer mitternächtlichen Verzweiflung einfallen ließen. „Prohaska ging und schwieg“: Der Kurier faßt die Sprachlosigkeit zusammen, die nicht nur den Teamchef in seiner schwärzesten Stunde befiel. Kapitän Toni Pfeffer meinte zum Spielverlauf niederschmetternd: „Schon das 0:5 zur Pause war völlig in Ordnung.“

Voller Illusionen waren die Austro-Kicker nach Valencia gereist. Das hermetische Schweigen der durch eine 2:3-Schlappe gegen Zypern vermeintlich demoralisierten Spanier wurde als Furcht vor dem Gegner gedeutet. Prohaska stellte als launige Siegesprämie die Abnahme seines Schnurrbarts in Aussicht. Nun, die Manneszierde darf bleiben. Die Spielstrategie, die die Iberer heimlich ausgekocht hatten, ließ seine Burschen wie panische Schafe aussehen, die vom bösen Wolf gejagt werden. Jeder zweite der zum Einsatz gekommenen Spieler wurde bei der Notenvergabe der Neuen Kronen Zeitung als Totalversager eingestuft. Alle außer dem unglücklichen Torwart Franz Wohlfahrt, so der selbstkritische Kommentar von Verteidiger Wolfgang Feiersinger, hätten ausgetauscht gehört. Die Frage ist nur: Gegen wen?

Auch der Rat, den der spanische Teamspieler Juan Valerón den Geschlagenen mitgab („Die Österreicher sollten die Niederlage schnell vergessen und ihre Moral wieder aufbauen“), ist wohl nur bedingt umsetzbar. Denn wo gibt es noch Zwerge, an denen Prohaskas Recken ihre Moral wieder aufbauen könnten? Hände weg von den Färöern! Auch auf Malta und San Marino ist kein Verlaß mehr. Vielleicht heißt das Rezept: Aussitzen und auf Nachwuchs warten! Schließlich haben die über 30jährigen Nationalstars längst Pensionsanspruch. Doch Halt! Auch das Unter-21-Team hat gegen Spanien eine 0:4-Schlappe eingesteckt.

Keine Frage: Wir müssen anderweitig moralischen Halt suchen. Bevor mit dem 0:9-Debakel die schwärzeste Nacht über die sportbegeisterten Österreicher hereinbrach, ließ die Übertragung des triumphalen Empfangs der Gemeinde Flachau für Ski-Weltmeister Hermann Maier die Herzen höher schlagen. Wen kümmert Fußball, solange wir die Skination Nummer eins sind. Der nächste Winter kommt bestimmt. Ralf Leonhard

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen