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Der Ritter und sein Lenker

Harry Kupfer zeigt Wagners „Tannhäuser“ in Berlin als zerrissenen Künstler des 19. Jahrhunderts – das schlechte Gewissen schaut auch vorbei  ■ Von Sabine Zurmühl

Früher mußte man ja aufstehen und die Nationalhymne singen, wenn Ihre Majestäten in der Königsloge die Oper besuchten. Bei Ludwig in Bayern war's am interessantesten; heute guckt man nur beiläufig gierig hoch, zu Weizsäcker und Naumann und dem Wagner-Urenkel Wolfgang. Und die elegantesten Leute ziehen ungeniert eine dieser kleinen neuen Kameras aus der Tasche, um die Promis der Promis für zu Hause zu dokumentieren.

Eine Stunde vor Beginn waren leider nur noch zehn Karten zu jeweils 390 Mark zu haben, vielleicht sind sie trotzdem weggegangen, wer weiß. Ein Lastwagen balancierte die Schnittchen in Zellophan auf gefährlich hohem Turm, und die Leierkastenfrau spielte vor dem Haupteingang ziemlich unpassende Weisen. Und der gepanzerte Mercedes mit dem „0-1“- Schild hat ziemlich lange Pause, von 17 bis 23 Uhr – solange dauert der Wagner.

„Tannhäuser“, der sündige Sänger, in der Regie von Harry Kupfer. Bei der Ouvertüre unter Daniel Barenboim kommen einem die Klänge hart und fast militärisch brüsk entgegen, so direkt, so laut, daß es schwerfällt, sich auf den Fortgang des Abends zu freuen. In die heilige Nachhallsekunde des ersten Aktes knallen die Buhs, als seien sie bestellt.

Sie gelten der Regie-Idee Kupfers, der mit dem Ritter und Sänger Tannhäuser gleichzeitig den Künstler des 19. Jahrhunderts zeigen möchte, diesen zerrissenen Menschen, der dringend und gefährdet der weiblichen Muse bedarf, um sein Leben zu bewältigen. Waltraud Meier ist die elegante, rotsamtene, stimmlich hervorragende Venus, die sich auf einem weißen Konzertflügel räkeln darf, der Venusberg eine Phantasmagorie aus der Philharmonie.

Die mittelalterlichen Geschichte vom Tannhäuser erzählt vom Schuldigwerden, vom Gespaltensein zwischen Eros und Glauben, der Zeitlosigkeit im Venusberg und verantwortlicher Teilnahme an der Gesellschaft. Vielleicht auch von der Sucht, ein Spielverderber sein zu müssen. Wagner hat auch über sich geschrieben, noch ausgefüllt von den Debatten der 48er Revolution, was soll der Mann wollen...

Die Frauen sind die Hüterinnen der jeweiligen halben Welt: Venus als Verführerin und mütterliche (?) Geliebte, Elisabeth als eine, die keine Ansprüche stellt; eine, die nur lebt, weil er lebt, die nicht mehr leben kann, wenn auch er verloren ist. In Kupfers Interpretation werden beide Frauen zu unterschiedlichen Variationen der liebenden Muse. Das ist aufs erste schlüssig. Elisabeth begrüßt als „Heilige Halle“ einen Konzertsaal mit diesmal schwarzem Flügel, mit zugedeckten Stuhlreihen, auf denen später der Chor als feine Gesellschaft in Smoking und Abendkleid Platz nehmen wird. Die Elisabeth wird von Angela Denoke gesungen, der eindeutigen Siegerin nach Punkten an diesem Abend. Sie ist stimmlich unabhängig, frei, mit ungewöhnlicher Tiefe für diese Partie, sie spielt Elisabeth als zarten Dickkopf und kann Musikalität mit Glaubwürdigkeit verbinden.

Indem die Figur der Elisabeth zum Angelpunkt des Stückes wird, zur Energiemitte, geht der ursprüngliche Ansatz nur noch knirschend voran. Denn: Elisabeth ist fromm. „Heilige Elisabeth“, ja, die, aus Thüringen. Kupfer hat in einem Gespräch den „Katholizismus“ abgewehrt, der in dieser Oper läge. Was aber dann? Der Konflikt um Schuld, Sinnlichkeit und Sünde ist hierzulande mit der christlichen Kultur untrennbar verbunden. Kupfer möchte das überspringen. Er zeigt den Chor als Konzertbesucher, den frommen Sängerwettstreit als Stück aus dem Musikhaus und erzwingt damit die Brechung des spirituellen Bezuges. Aber letztlich kann selbst Kupfer die weltliche Linie des Künstlerdramas nicht durchhalten.

Sogar der stimmlich kräftige, aber schauspielerisch eher bescheidene Robert Gambill findet als Tannhäuser im Vertrauen auf die ursprüngliche Geschichte zur Wahrhaftigkeit des Ausdrucks. Was soll da noch der Papst mit weihrauchfässerschwenkenden Ministranten? All diese Ansätze zur Ironisierung, die sich letztlich als unnötig, ja hemmend erweisen. All dies in Hans Schavernochs Bühnenbild aus Palast der Republik und schwärzlicher Ruine – Berliner Dom oder Dresden, oder wer weiß. Darauf Projektionen von Bitterfeld oder Baustellen oder dem Tal der Tränen.

Der Jubel am Ende war nicht einhellig. Aber wenn Buhs und Bravos auftreten, haben Barenboim und Kupfer ihren alten Trick: Sie umarmen sich zum Doppelpack – wer wollte da widerstehen.

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