piwik no script img

Rendezvous mit einem Fisch

■ Nach sieben Jahren stiller Fluxus-Kollaboration ist W. Hainkes „W(H)ALE“- Projekt über das Abtauchen von Fisch und Kunst in der Kunsthalle aufgetaucht

Was hat holländische Zahnpasta der Marke „Rembrandt“ zu tun mit einer 70er-Jahre-Werbung für einen „Helena Rubinstein“-Lidstift (“Stop for a minute and think about this eye“) oder mit Moby Dick, dem Bremer Schiff(f)ahrtsmuseum, der Kultgruppe CAN, Liselotte Pulver und Nam Yun Paiks weisem Lebenstip: „Verkrieche Dich in die Vagina eines Wals?“ Sieben Jahre lang hat der Bremer Künstler und Zusammenhangsforscher Wolfgang Hainke gebraucht zur Lösung dieses vertrackten Problems, mit dem höchstens noch einige Rätsel mittelalterlicher Scholastik (“Wieviel Engel haben auf einer Nadelspitze Platz?“) konkurrieren können. Nun hängen die komplizierten Kausalketten, die all jene oben genannten, wertvollen Dinge verknüpfen, im Kupferstichkabinett der Kunsthalle, und zwar in rechteckiger Form, genauer gesagt in Form von 24 kostbaren Offset-Lithos.

Kostbar sind sie, weil sie von nicht unberühmten Künstlern wie Popartisten Richard Hamilton, Freßtischkonservierer Daniel Spoerri, Happeningerfinder Allan Kaprow, Alt-Fluxerianer Emmett Williams, dem Japaner AY-O und sieben weiteren KollegInnen stammen. Was die miteinander verbindet, läßt sich nach deutlich weniger als sieben Jahren des Nachdenkens sagen. Sie alle stammen, mal mehr, mal weniger, aus dem Fluxus-Kontext. Hainke: „Das Projekt ist sehr bewußt altmodisch. Die 60er haben mich stark beeinflußt. Und ich finde sie nach wie vor relevant.“ Und als geistiger Enkel Duchamps verkauft Hainke die Lithos natürlich nicht als schnöde Grafikmappe, sondern als echtes Fluxusköfferchen, als Multiple und Minimuseum mit Putzlappen (zum Säubern der Druckmaschinen)und einem Fläschchen honiggelben Walfischsperma (aus dem früher Helena Rubinsteins Schminke gemacht wurde).

Kunsthallenchef Herzogenrath ist freudig, aber erstaunt, daß er eine ordentliche und dann auch noch rechtzeitig fertiggestellte Postfluxusausstellung beherbergen darf. Denn Netzwerker Hainke liebt zwar den Prozeß, haßt aber Anfang (“Alles entspringt dem Zufall“) und Ende. Trotzdem wird es Zeit, hier an dieser Stelle vom Anfang zu erzählen. Der war vor 330 Jahren – und eine tierische Katastrophe. Ein Zwergwalpärchen hatte sich verschwommen. Das Weibchen (wurde es vom Männchen belästigt?) strandete in der Lesum bei Vegesack. Ein Bauer killte das vermeintliche Monster. Rembrandtschüler Wulffhagen malte die Trophäe in Lebensgröße. Und die war zehn Meter. Wie die Wälin taucht nun die von ihr abgeleitete Kunst auf und ab. 300 Jahre hing das Bild im Bremer Rathaus, verschwand in den 60er Jahren im Archiv des Überseemuseums, wurde 1992 wiederentdeckt und nach langen Kämpfen um Wert und richtigen Ort doch noch restauriert.

Der schrundige Farbauftrag erinnerte Hainke an ein anderes Object trouve: Angeblich in einem Probenraum der Maschinenrocker CAN klaute er jene Filmbilder, die Vorführer beim Filmkoppeln wegen Rißstellen an der Perforation aus der Kopie rausschneiden. Da alt, verstaubt, verkratzt, nähern sich ihre Bildwelten jenem Zustand entropischer Ursuppe, der auch Bremens Walbild vor der Restaurierung verzierte. Aus Hollywoodstars werden blasse Geister. Aus dem Trafalgar Square eine mottenzerfressene Gespensterstadt. Schon der Vaginafotograf Nobuyoshi Araki erkannte die Magie vergammelter Filmbilder und kombinierte vor einem Jahr in einer schönen Ausstellung der Hamburger Deichtorhallen perfekte Blumenstilleben mit säurezerfressenen Bildern eines Tokio-Dokumentarfilms.

Hans-Joachim Manske, rühriger Chef der Städtischen Galerie im Buntentor, bat Hainke 1992 um ein Fluxus-Projekt zum umkämpften Walbild. Der bat alte Recken aber auch Seitenärmler der Fluxusbewegung, sich je eines seiner 35mm-Filmbilder auszusuchen und ein „Remake“ davon anzufertigen. Vorgegeben waren Größe und Thema: Abtauchen, Auftauchen, Renovieren. Die Ergebnisse dieses „Rendezvous“ oder dieser „besessenen Kollaboration“ (Hainke pflegt seinen altmodischen – ? – Künstlerromantizismus) von zwölf schrägen Künstlerpersönlichkeiten hängt nun seltsam geordnet in den Glaskästen des Kupferstichkabinetts. Hamilton hat sich eine Szene aus „Das Wirtshaus im Spessart“ geangelt. Neben dem stark blow-up-ten Original schmunzelt nun seine Version: Die Männer sind herausgeschnitten, dafür darf Lilo Pulver in ihre leeren Konturen hineinragen.

Viele der Künstler suchen im Formennebel der Vorlage nach Struktur oder Inhalt – frei nach da Vincis Rat, im Gekröse von Kirschbaumholz nach verborgenen Gestalten zu fahnden zur Schulung der Fantasie. Emmett Williams hat – ganz genial – ein kinofeindliches Pamphlet aus alten Zeiten ausgegraben. Jetzt steht auf zerrüttetem Fimmaterial: „Der Tonfilm wirkt nervenzerrüttend.“ Allan Kaprows Arbeit wirkt im ersten Moment reichlich piefig. Er schneidet eine kleine Form aus und setzt sie an anderer Stelle wieder ein. In Wahrheit ist dies eine komplexe Hommage an Duchamp. Hart an der Grenze der Unlesbarkeit steht da „RIGHT“, rechts und auch links, aber dann nicht mehr richtig: Eine Anspielung auf eine analoge Spielerei Duchamps mit dem Wort „wrong“.

„Das ist wie ,Zettels Traum'“, schwärmt der Verweisesammler Hainke, „nur wenn man sich ein Leben lang damit beschäftigt, begreift man die ganzen Bezüge“. Barbara Kern

Helfen will dabei ein Koffer in 45er Auflage, der vermutlich – Hainke hadert noch – um die 25.000 Mark kosten wird mit sämtlichen Grafiken, Videos, Tonkassetten, einem Essayband, für den alle Künstler aber auch Wissenschaftler wie Theweleit exklusiv Essays (etwa über Hitchcock oder die neuen Technologien in der Kunst) verfaßt haben. Nicht zu vergessen das Walsperma.

Ausstellung bis 9.Mai

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen