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„Der Exodus läuft auf Hochtouren“

Krieg und systematischer Blutrausch? „Die bittere Sicherheit: Nein, und abermals nein!“  ■ Gastkommentar von Katja Barloschky

Zweifel:

25.März 1999: „Der Krieg läuft gut – der Krieg läuft weiter.“ Das ist die medial an den Abendbrottisch gesendete Sprache des Militärs. Tausend mal beschriebene und dennoch geleugnete Eigendynamik, die nichts (mehr) mit dem Anlaß der schweren Entscheidung zum Angriff zu tun hat. „Auf dem Balkan wird gestorben, im Nato-Hauptquartier haben alle längst Feierabend. Wir auch.“

Erster Impuls: Es muß etwas geschehen. Jetzt. Endlich. Schon fast zu spät. Kein zweites Bosnien. Und: Das wird nichts mit aseptischen Nintendo-Luftangriffen. Das hält Milosovic gut und lange aus. Und nützt den Flüchtlingen im Kosovo nicht. Ohne Bodentruppen wird es nichts. Her mit den Bodentruppen. Ganz oder gar nicht. Wollt ihr den totalen Sieg – alles andere ist Augenwischerei und Selbstbetrug.

Fragen:

1. „Die Luftangriffe gehen so lange weiter, bis Milosovic einlenkt.“ Warum sollte er das tun? Was soll geschehen, wenn er es nicht tut? Dieser Krieg nützt ihm. Wie lange bombardieren wir was, mit welchem Ziel?

2. „Demokratische Opposition gegen die Diktatur von Milosovic ist nun auf lange Zeit tot.“ Was soll eigentlich nach dem Bombardement geschehen? Auf wen setzen wir? Wer soll eigentlich demokratische und stabile Verhältnisse garantieren nach dem Krieg?

3. „Die UNO gehört zu den wichtigsten Opfern dieses Kriegs.“ Völkerrecht? Was soll aus dieser Welt nach den Erfahrungen zweier Weltkriege und der Nazi-Diktatur werden, wenn die wichtigste Errungenschaft, die UNO, das verbindliche Völkerrecht, vor aller Welt und offiziell für „egal“ erklärt werden?

Kriegsberichterstattung: „Die deutschen Bomber sind wohlbehalten zurück“ – was wäre, wenn die britischen, französischen etc. nicht heil zurück wären? Peinliche Sorge nur um Deutsche. „Wir können nicht ständig A sagen, und wenn's Ernst wird, kneifen.“ Schleichender Paradigmenwechsel ...

Fakt ist: Deutsche Bundeswehr erstmals aktiv beteiligt an einem Angriffskrieg – jawohl, Angriffskrieg. Gegen die Bestimmungen des Grundgesetzes. So what? Kann dieses unser/mein Land es sich angesichts seiner Geschichte leisten, so mit unserer Verfassung umzugehen?

Gefühle, Fragen, Fakten. Lügner, meistens männliche, die behaupten, alles fein säuberlich auseinanderzuhalten und ansonsten fertig zu sein mit Nachdenken. Oh Gott, laß Du die Guten siegen? Bewahre uns vor den Selbstgerechten. Und schütze den Zweifel.

Bremen, 25.März 1999

Bittere Sicherheit:

Tage später haben sich die Befürchtungen bestätigt, ja, es ist alles noch viel schlimmer: Die Menschen im Kosovo werden nicht geschützt vor Vertreibung und systematischem Blutrausch, im Gegenteil, der ethnische Exodus läuft auf Hochtouren und die Hilflosigkeit der militärischen Option offenbart sich im immer lauter werdenden Ruf nach Bodentruppen. Warum eigentlich wurden die UNO-Kontingente im Kosovo nicht verdoppelt, verdrei- oder vervierfacht, anstatt sie abzuziehen und durch NATO-Bomben zu ersetzen? Wäre das teurer gewesen? Was für eine selbst zu verantwortende Sackgasse, wenn mit Gewalt gedroht wird, ohne strategisch einen Ausweg zu wissen. Und was für eine Heuchelei, diese Sackgasse dann denjenigen moralisch in die Schuhe zu schieben, die ein Ende des Bombardements fordern! „Krieg dem Krieg?“ Nein, und abermals nein!

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