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Heuchlerisches Hin und Her bei Rußland-Kredit

Weder Moskau noch der IWF haben ein Interesse an einer Zahlungsunfähigkeit des Landes  ■    Aus Moskau Barbara Kerneck

Wie das Volk Israel in der Wüste auf das himmlische Manna, so wartete Rußland auch in den vergangenen Jahren immer schon auf die Entscheidungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) über die Vergabe neue Kredite. Diesmal aber wurde der Urteilsspruch von IWF-Chef Michael Camdessus erwartet wie das jüngste Gericht. Anfang der vergangenen Woche konnte Premier Primakow dann stolz verkünden, man habe sich über einen neuen Kredit in Höhe von 4,8 Milliarden US-Dollar geeinigt. Der Pressekonferenz folgte dann allerdings wieder ein Wust von Dementis und Gegen-Dementis aus Moskau und Washington, dem Sitz des IWF.

Das heuchlerische Hin und Her sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen können, daß Rußland und der IWF längst zu einem Einverständnis darüber gelangt sind, daß der Kredit auf jeden Fall gezahlt wird. Die Frage ist nur noch, unter welchen Bedingungen und in welchen Monaten der IWF die vier Tranchen freigibt, in die die Summe aufgeteilt werden soll.

4,8 Milliarden US-Dollar sind kaum mehr, als Rußland benötigt, um die in diesem Jahr fällig werdenden Schulden von 4,6 Milliarden US-Dollar gegenüber dem IWF zurückzuzahlen. Das Geld wandert also praktisch nur von einem Konto des Fonds auf ein anderes. Gäbe er weniger, würde der IWF selbst in Schwierigkeiten geraten. Laut Statut darf er die Rückzahlung seiner Kredite weder stunden noch Umschuldungen vornehmen. Wenn Rußland in diesem Jahr rückzahlungsunfähig bliebe, müßte der ohnehin unter internationalem Beschuß stehende IWF also sein eigenes Daseinskonzept in Frage stellen.

Die an Geiz grenzende Vorsicht, mit der die Hilfe bemessen wurde, bezeugt allerdings gleichzeitig das Mißtrauen von Camdessus & Co gegenüber der engen Zusammenarbeit der Regierung Primakow mit der kommunistischen Duma-Fraktion.

Aber auch Rußland hat sich bei den Verhandlungen mit dem IWF in einer Zwangslage befunden: Ohne den Kredit wäre das Land schon in den allernächsten Monaten mit einer Schuldenkatastrophe konfrontiert worden. Insgesamt 17,5 Milliarden US-Dollar an Außenständen und Zinsen muß der russische Staat in diesem Jahr der internationalen Gemeinschaft zurückzahlen.

Die positive Entscheidung des IWF wird dazu beitragen, weitere kleinere Kredite loszueisen, die gegenwärtig noch eingefroren sind, darunter einen im letzten Jahr bewilligten Kredit der Weltbank. Außerdem wird er die Bereitschaft anderer Kreditoren verstärken, Rußland seine Schulden zu stunden.

Außerdem hätte ein „Default“, eine Zahlungsunfähigkeitserklärung des russischen Staates, schwerwiegende Folgen für die Zukunft des Landes: So könnten russischer Grundbesitz und Gebäude im Ausland von den Gläubigern gepfändet werden. Auch dortige Bankenaktiva würden ihrer Kontrolle unterstellt – und mehr als die Hälfte der gegenwärtigen Aktiva der russischen Zentralbank in harten Währungen, etwa vier Milliarden US-Dollar, befinden sich auf Konten der Deutschen Bank, der Dresdner Bank und verschiedener amerikanischer Banken. In den Häfen der Welt würden russische Schiffe am Auslaufen gehindert. Für mindestens ein Jahrzehnt würde Rußland vollständig von den internationalen Finanzmärkten verschwinden.

Die Mehrheit der kommunistischen Deputierten hat angesichts dieser Perspektive trotzig ein Autarkie-Modell entwickelt, das der Premier allerdings bereits Ende März als illusionär abgetan hatte. „Die Rolle des Pariahs auf den internationalen Finanzmärkten paßt nicht zu Rußland“, sagte er und bekannte sich explizit zur Globalisierung.

Der IWF-Kredit ist im laufenden russischen Staatshaushalt bereits fest eingeplant. Trotzdem sind dort nur neuneinhalb Milliarden US-Dollar als Ausgabeposten zur Tilgung von Auslandsschulden aufgeführt. Bei den acht restlichen Milliarden hofft Rußland nun auf Entgegenkommen. Und das kann es am ehesten vom Pariser Club erwarten, der Vereinigung ausländischer Staaten, bei denen die Sowjetunion Schulden hatte. Nach ihrem Zusammenbruch übernahm die neue russische Regierung in einem Anfall von Größenwahn alle Verpflichtungen ihrer Vorgängerin im Werte von insgesamt 90 Milliarden US-Dollar. Aus informierten Kreisen verlautete jetzt, daß bereits Verhandlungen mit dem Club aufgenommen worden seien. Und dabei soll es nicht nur um eine Stundung der Außenstände gehen, sondern sogar um einen teilweisen Schuldenerlaß.

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