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Friede mit dem Urheberrecht der Musiker

■ Japanische Studenten haben nach dem Vorbild der freien Software einen Webserver für Tondateien eingerichtet: Wer daraus Klänge seiner Kollegen übernimmt, muß seine eigenen Stücke ebenfalls ohne Gebü

Ein neuer Virus geht um. Ein friedlicher jedoch, kein virtueller Stealth-Bomber, das Goethe-Institut in Tokio stand Pate: Als es im letzten Jahr die Veranstaltungsreihe „TechnoKulturen 1998“ (www.goethe.de/techno/) organisierte, kamen vier Studenten der Keio-Universität auf die Idee, GNUsic (www.gnusic.net/) zu gründen. „GNU“ steht für Richard Stallmans Projekt freier Software aus dem Jahr 1985. (www.gnu.org/ gnu/manifesto.html) Nun sollte das Prinzip nicht nur für Betriebssysteme und Anwendungen gelten, sondern für „Music“. Klangdateien, Werkzeuge und Programme im Rahmen sollen eines offenen Studios für elektronische Musik bereitgestellt werden.

Der Gedanke freier Software hat sich mit dem Betriebssystem Linux selbst im kommerziellen Bereich durchgesetzt. Die Anlehnung der heutigen fünf Kernmitglieder von GNUsic an das GNU- Projekt entspringt einer gewissen Affinität zwischen ihrer Musik und Computern. Einer von ihnen, Kenji Yasaka, betreibt seit 1995 die Web-Site „dotcom“ (www.dotcom-studio.com/), auf der die Besucher eingeladen sind, selbst zu komponieren. Ein anderer, Kohji Setoh, legt unter dem Namen „dj denca“ Platten in Tokioter Clubs auf und beteiligte sich ebenfalls an einer interaktiven Musik-Website unter dem Namen „Variations“ (platinum.sfc.keio.ac.jp/sns/va/index.html). Ähnliches gilt auch für die anderen Mitglieder Akihiro Kubota, Atsushi Tadokoro und Shunichiro Okada.

GNUsic verknüpft bewußt die zwei Kulturen der elektronischen Musik und der freien Software – Kenji Yasaka wollte ohne Konflikt mit dem Copyright anderer Künstler auf deren Arbeiten zurückgreifen können. Kompositionen und Klangsamples sollten deshalb, meint er, den erprobten Regeln der General Public License (GPL) entsprechend veröffentlicht werden: Die Musiker geben damit ihre Rechte nicht auf, aber sie erweitern die Möglichkeiten anderer. Denn die Verwendung einer Datei von GNUsic verpflichtet den Komponisten, seine Arbeit ebenfalls wieder unter der GPL zu veröffentlichen. Wie von einem Virus verbreitet soll damit einerseits ein öffentliches Klangarchiv entstehen, anderseits aber die Musiker vor dem Mißbrauch ihrer Kompositionen geschützt werden, der heute durch das MP3-Format auch für musikalische Laien leicht geworden ist: Fremde Samples müssen nach dem Konzept der GPL nicht mehr schwarz kopiert, dafür aber kenntlich gemacht werden.

Der Austausch von Musik hat im Netz Tradition. Schon lange stehen sogenannte MIDI- oder MOD-Dateien auf diversen Servern zur Verfügung. Beide Dateiformate enthalten lediglich Programm-Codes, die von der Soundkarte des PC oder einem Synthesizer ausgeführt werden, daher sind sie auch bei kleinen Bandbreiten leicht übertragbar. Musiker, die die anspruchsvolle MIDI-Files einspielten, erhoben aber sehr oft Urheberrechte auf ihre Stücke.

GNUsic möchte auch diese Grenze überwinden. In der Techno-Szene sind gelungene Samples schon in den 70er Jahren einfach mit der Post verbreitet worden. Wenn aber Tonbänder von Hamburg nach Tokio gehen und dann über Mailand in Los Angeles landen, läßt sich in den hinteren Gliedern der Kette nicht mehr auseinanderhalten, wer was beigesteuert hat. Dagegen erhoffen sich die Gründer von GNUsic auch eine Transparenz des Produktionsprozesses. Mit der Pflicht, den gemeinsamen Pool an Klängen um das zu bereichern, was ihm entnommen wurde, werden einzelne Arbeitsschritte nachvollziehbar. Außerdem kann ein größerer Kreis von Interessenten erreicht werden als über persönliche Bekanntschaften.

Im Sommer 1998 brachte GNUsic ihren Webserver ins Netz, eine Mailing-Liste kam hinzu und – am wichtigsten – von Anfang an selbstentwickelte Samples. Ein vorerst kleiner Kreis von Sympathisanten hat sich zusammengefunden, doch mit Beiträgen halten sie sich bisher eher zurück. Akihiro Kubota verweist auf technischen Schwierigkeiten. Da es den registrierten Teilnehmern freisteht, was und wieviel sie zur auf den Server laden wollen, muß der Rechner zum Beispiel vor böswilliger Überlastung geschützt werden.

Diese Probleme seien aber lösbar, meint Kubota und setzt auf die Zeit. Noch seien die Vor- und Nachteile des GNUsic-Modells zu wenig bekannt. Ähnlich wie im Bereich der freien Software lange Jahre die Angst umging, derartige Ansätze könnten auf Dauer Programmierer arbeitslos machen, scheinen auch Musiker heute davor zurückzuschrecken, ihr Material frei zur Verfügung zu stellen. So vertrat die japanische Pop- Ikone Ryuichi Sakamoto gegenüber GNUsic den Standpunkt, Musiker verdienten ihren Unterhalt nun mal in erster Linie durch den Verkauf von Platten.

Ganz bruchlos läßt sich Stallmans Kopnzept offenbar nicht auf die Musik übertragen. Innerhalb der Software-Szene werden der Ruf und Anerkennung, den sich Entwickler mit ihren Programmen erarbeiten, deutlich höher bewertet wird als das Geld. In der Musikbranche fehlen solche Maßstäbe weitgehend. Doch inzwischen haben die Japaner Ernst gemacht. Die bereits im Januar angekündigte CD „GNUsic 001“ erschien Anfang März. Und natürlich enthalten die Stücke Samples vom Web-Server. Nur in den Läden, bedauert Kubota, kann sie nicht erstanden werden.

Die GNUsic-Samples stehen als MP3-Dateien bereit, ereichen damit fast CD-Qualität, drücken aber die sonst für Audiodaten notwendige Übertragungszeit um den Faktor neun. MP3 ist noch immer ein heiß umstrittenes Format. Die Musikindustrie befürchtet Raubkopien und droht mit Prozeßlawinen wegen Verletzung von Urheberrechten. Kubota will das Problem nicht völlig leugnen und verweist darauf, daß neue Techniken immer „ambivalent“ seien.

Mit ihren eigenen Veröffentlichungen werden die japanischen Musiker freilich kaum den Weg in die Hitparaden finden. Ihre Collagen sprechen eher ein kleines Publikum an. In diesem Kreis sind sie jedoch wohlgelitten. Kohji Setoh und Kenji Yasaka wurden 1998 zur Internationalen Konferenz für Computer-Musik in Ann Arbor eingeladen, um ihre Arbeiten vorzustellen. In der diesjährigen Ausgabe des von der Internationalen Gesellschaft für Kunst, Wissenschaft und Technik herausgegebenen Musikjournals Leonardo (mitpress.mit.edu/e-journals/Leonardo/lmj/sound.html) wird auch ein Beitrag von GNUsic enthalten sein. Patrick Goltzsch

Patrick.Goltzsch@Hanse.de

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