Stahnke, Goethe, Fischer, bääh

Was ich der taz zum Zwanzigsten wünsche (II): Unterhaltung? Mehr! Die taz soll eine tägliche Kunst sein, die Schröder-, Schmidt- und Tagesschow angemessen heiter auskontert  ■ Von Peter Unfried

Wenn der TV-Unterhalter Harald Schmidt „Zeitung“ sagt, meint er natürlich nicht Zeitung. Er meint bloß Bild. Das ist bedenklich – aber nicht bloß für den Nürtinger. Warum huldigt er immer nur dem Boulevard? Weil er – Vorsicht, jetzt kommt's – unterhalten will. Manche halten Unterhaltung für etwas, das man unter der Ladentheke kauft. Bääh? (Moment.)

Natürlich kann man sagen: Die Witzigkeit in den Medien kenne eh keine Grenzen mehr, und lustig wolle inzwischen sogar die Welt sein. Bääh! (Jetzt dürft ihr.) Der Unterschied ist: Während die gespielten Witze des Fernsehens („Comedy“) nur blöd sein wollen und in der Regel sind, Schmidt („Show“) bloß handwerklich hochwertig ist, können wir im besten Falle mit der „souveränen taz- Ironie“ dienen. Wollen jetzt mal nicht übertreiben, aber doch sagen, daß es sich dabei um eine Kunst handelt, die sich – wenn sie gelingt – von der Beliebigkeit des Zeitgeistes distanziert. Teilweise auf eine Art, die die Konkurrenz gar nicht leisten kann, weil sie auch auf dem speziellen Hintergrund der taz funktioniert.

Nun kann man einwerfen: Was willst du? Die taz ist doch schon die unterhaltendste Qualitätszeitung Deutschlands. Falls das stimmt, ist das doch noch keine Kunst. Und reicht vielleicht nicht aus. Es geht schließlich darum, den Bedürfnissen einer heterogen gewordenen LeserInnenschaft gerecht zu werden. Grob gesagt ist es so: Die Älteren sind meist treue, langjährige AbonnentInnen und schätzen die taz eher traditionalistisch als rein politische Zeitung (links, alternativ, nonkonformistisch, reformbewußt, ökologisch). Neue, jüngere LeserInnen sehen das ähnlich, haben aber zudem ein Bedürfnis, intelligent unterhalten zu werden. Fakt ist: Die Jungen werden in der Regel später sterben als die Alten. Im Moment sterben aber bloß die Abos der Jüngeren – allzuhäufig allzufrüh.

Die taz hat mit der Wahrheit ein Ressort, das deutschlandweit Maßstäbe setzt. Die Wahrheit ist aber kein Witzghetto. Die Wahrheit, das merkt man in diesen Tagen besonders, ist natürlich ein politisches Ressort, genauso wie die Kultur, die Medien und die Leibesübungen auch.

Was diese Ressorts von den anderen politischen Ressorts unterscheidet, ist etwas anderes: Hinten im Boot, wie wir das nennen, ist die Arbeit mit Ironie grundsätzliches Prinzip.

Wenn Witz die niedrigste Organisationsform ist, die Menschen zum Lachen bringen kann, ist Ironie die qualitativ höchste, da am komplexesten organisierte. Ich meine Ironie aber nicht bloß als eine journalistische Form (von vielen), sondern als eine grundsätzliche Herangehensweise. Nein: Es geht natürlich nicht bloß darum, sich lustig zu machen. Die taz kann ihre Arbeit getrost auf der Vermutung/Erkenntnis aufbauen, daß einem Politiker wie Gerhard Schröder mit dem veralteten Instrumentarium dessen, was man als politische Berichterstattung versteht, nicht mehr beizukommen ist. Die taz braucht auch nicht im Rennen um sogenannte Fakten mitzumachen, wenn diese „Fakten“ bloß Zitate von Machtausübenden sind. Um weiter Sinn zu machen, muß die neue taz noch stärker als bisher Medienkarrieren von „Nachrichten“ und den politischen Verlautbarungsjournalismus reflektieren und transparent machen. Die taz, das dürfte spätestens nach einem halben Jahr klar sein, kann nie als Teil der Schröder-Show funktionieren. Sie kann auch nicht als Print-Schmidt-Show funktionieren – sie muß immer das Korrektiv sein zu den herrschenden Verhältnissen – also Schröder und Schmidt. Die taz ist ein Meta-Medium und als solches zitabel. Nicht, weil ein Machtausübender etwas in der taz sagt, sondern weil es die taz sagt.

Die taz-Ironie, die ich mir wünsche, setzt ein Transportmittel Sprache voraus, das jenseits aller wahrheitsablenkender Klischees der Verlautbarer eine zusätzliche ästhetische Qualität hat und gerade dadurch in der Lage ist, Wirklichkeit zu beschreiben. Die taz- Ironie drückt den Spieltrieb jener aus, die die Zeitung machen. Die taz kann gerne auch mal Polenwitze reißen – aber nicht um damit niedere Instinkte zu bedienen, sondern um Harald Schmidts Klischees zu zertrümmern. Sie will, mal mit aller Vorsicht formuliert, das Schöne, das Gute, das Bessere, das Beste.

Damit plädiere ich weder für Moralisieren noch Moralisieren light. Ich meine aber: Moral (ein Hilfsbegriff) ist nichts ausschließlich Negatives. Das alles heißt auch nicht, daß die neue taz irgend etwas aufgäbe, was für sie wichtig ist. Die taz setzt auf ihre Stärken, zum Beispiel in der Auslandsberichterstattung. Die taz ist nicht ironisch, wo die Ironie keine zusätzliche Qualität einbringt, ihr Witz richtet sich nie gegen Opfer und natürlich speziell dann nicht, wenn es sich um Kriege und Opfer von Politikern/Verbrechern handelt. Stahnke, Szewczenko, Heck, Kirch, Handke, Goethe, Stoiber und auch Schäuble sind aber keine Opfer, Schröder und Fischer schon gar nicht, und Jürgen Trittin im Zweifelsfall auch nicht – das sollte man sie bei Bedarf spüren lassen.

Die Spaßgesellschaft lacht alles weg, vom Pubertätsausfall bis zum nihilistischen Zynismus. Daher darf die taz keine weitere Show sein. Die tägliche taz-Schau ist die einzige mögliche Reaktion auf die tägliche Schröder-Show und deren mediale Karriere in der Tagesschow. Die tägliche taz-Schau ist gerade in ihrer distanzierten Ironie seriöser als die Tagesschow (weil sie die relativiert) und unterhält besser als die Schmidt-Show (weil sie „gute Unterhaltung“ anders definiert).

Gerade in diesem Jahr sollte man sich als Nonkonformist mal auf den Utopisten Friedrich Schiller berufen, der – wie jeder weiß – davon ausging, daß es dem sinnlichen Menschen helfe, vernünftig zu werden, wenn er zunächst ästhetisch gemacht werde („Über die ästhetische Erziehung des Menschen“).

Jawoll. Die taz soll eine tägliche Kunst sein, die den Ernst des Lebens angemessen heiter reflektiert zum theoretischen und praktischen Gewinn ihrer Genossen, Abonnenten, Leser und übrigens auch Mitarbeiter.

Handwerkliche Perfektion und Haltung muß Ästhetik, muß Schönheit und auch Lachen schaffen. Und abends darf Schmidt gar keine andere Wahl haben, als zu fragen: „Haben Sie's gelesen?“ Und dabei die taz hochhalten.