: Schweden auf Weichspülerentzug
Eine elfengleiche Stimmquelle, charmant und unnahbar Nina Persson und die Cardigans setzten in der Columbiahalle mit „We are here to entertain you“ ein angemessenes Endneunziger Zeichen ■ Von Stefan Schmitt
Zuerst kamen die Burschen mit den Instrumenten auf die Bühne, nur um keine Zweifel aufkommen zu lassen: Das ist nicht die softe „Gran Turismo“ CD, das sind Klampfen und Drums, die Cardigans auf Tour. Jubel als Nina Persson endlich erscheint, Eyecatcher, Frontfrau und Star der Gitarren Popper aus Jönköping in Südschweden.
Auch sie war sichtlich bemüht, handfest zu erscheinen. Rote Lederhose, stumpfe blonde Haare, Nieten um die linke Hand ein Schuß Punk. Nur ihre Stimme war sphärisch wie immer, schleppte im gewohnten Wechselspiel mit der treibenden Gitarre.
Spiel der scheppernden Phallussymbole
Nicht eben die Easy Listening Schublade, in die man die „First band on the moon“ sonst so gerne steckt. Eher schien die Vergangenheit der fünf Schweden durchzuklingen. Am Anfang ihrer Karriere coverten sie Iron Maiden, Metallica, Black Sabbath. Keine Angst, es gab Mittwoch abend keine mainstreamigen Cover Versionen wie auf früheren Konzerten. Nur die Arrangements der eigenen Songs waren halt viel saiteninstrumentelastiger als irgendwo auf dem aktuellen Album.
Da war man gerne bereit, die kindischen Posen des Leadgitarristen Peter Svensson zu ertragen. Das musikalische Mastermind der Poptruppe widerlegte nicht eben die hartnäckige Theorie, daß auch Gitarrenhälse nur scheppernde Phallussymbole sind. Verrenkungen hin oder her, Svensson und seine Mannen haben die synthesizerlastigen, oft getragenen Songs von „Gran Turismo“ zur absoluten Livetauglichkeit geläutert.
Zauber brachte Nina in die Halle. Wenige Spielereien, immer sicher. Mit ihrer hohen Ohrwurmstimme hatte sie die Band total im Griff.
Und wenn sie nach einem Song einen winzigen Schluck Wasser aus ihrem durchsichtigen Becher nippte, sich die Haare zurückstrich, wieder vortrat, um lächelndeinfach „Thanks“ ins Mikrofon zu sagen, dann war sie ganz die elfengleiche Stimmquelle, charmant und unnahbar zugleich, trotz trashigem Outfit. Die Stimme eben, deren „Love me, love me“-Refrain aus dem „Lovefool“-Song man in Baz Luhrmanns Romeo + Julia-Neuverfilmung, beim Gastauftritt der Band bei Beverly Hills 90210 oder unvermeidlich im Radio aufgesogen hat.
Frontfrau Nina brachte Zauber in die Halle
Das Publikum himmelte sie an, sang mit und tat das, was Gymnasiasten, junge Pärchen und Bürokräfte auf Konzerten jenseits des Pogo-Tanzens halt so tun: jubeln, singen, mitwippen, jubeln.
Zum Schluß hatte die Band die Größe, in der Zugabe keinen Hit zu wiederholen, nicht mit einem Gassenhauer auszusteigen, sondern mit der wunderbar entrückten Ballade „Higher“. Nur eine Stunde und zwanzig Minuten, aber dafür guter Pop.
Das Konzert, wegen der großen Nachfrage kurzfristig vom Columbia-Fritz in die große Halle verlegt, war wirklich sein Geld wert. „We're the Cardigans. We're here to entertain you“, sprach Nina Persson zur Begrüßung in die Runde, das Versprechen sollte sie einhalten. „We love you“, schallte es zurück .
„We are here to entertain you“ könnte das angemessene Endneunziger-Pendant zum aufgesetzten „Are you ready to rock?“ sein, das sich immer noch viel zu viele Bands aus den Siebzigern hinüberretten.
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