piwik no script img

Falten, bitte

Die Untersuchungen des japanischen Modemachers Issey Miyake zum Kleid im 20. Jahrhundert  ■   Von Brigitte Werneburg

Wie bunte Lampions sieht aus, was sich bei genauerem Hinsehen als Kleider herausstellt. Was den Eindruck zusätzlich bestärkt: Die farbenfrohen Hüllen hängen, auf einfache Kleiderbügel gesteckt, an Schnüren von der Decke. So, voller bunter Stoffbeutel präsentierte sich die Pariser Fondation Cartier pour l'art modern zu Jahresbeginn. Jetzt läßt sich die Installation in einem lesenswerten und sehenswerten Katalogband nachvollziehen. Eingerichtet hat sie Issey Miyake. Der japanische Modemacher erscheint mit seinen Konzeptkleider aktueller denn je.

Heute, da man wieder die künstlichen Materialien des Industriezeitalters entdeckt und Neoprenschuhe nicht mehr zum Pazifikwellen-, sondern zum City-Surfen trägt, da man keine Schnürungen mehr mag, sondern nur noch Klettverschlüsse aufreißt, ist seine Vorstellung, wie die Kleider im 20. Jahrhundert gefertigt sein sollen, einsichtiger denn je.

Daß sich seine Kleider nie groß mit Reißverschlüssen und Knopfleisten, also festen, unverrückbaren Schließungen abgaben, sondern schon immer auf lockere, flexible Bindungen und Schlupflösungen setzten, rührte zunächst von seiner Auseinandersetzung mit der Kleidertradition Japans her. 1938 in Hiroshima geboren (wo lebte er, als die Bombe fiel?), begann er 1962 in Tokio sein Modedesignstudium, das er 1965 in Paris fortsetzte. 1971 zeigte er erstmals seine Kollektion in New York, 1973 hatte sie in Paris Premiere. „Ein Stück Stoff“ war das Konzept betitelt, unter dem seine Kollektionen entstanden. Und tatsächlich, obwohl wir mit unseren verschiedenen Körperpartien, wie Kopf, Rumpf, Arme und Beine ganz verschiedene Dinge tun, was die westliche Kleidertradition in ihren Schnitten ganz deutlich betont, brachte Miyake mit seinen Kleidern aus einem einzigen Stück Stoff den ganzen, unzerstückelten Körper auf den Laufsteg. Das bedeutete damals eine Sensation.

Seine Untersuchung althergebrachter japanischer Stoffe führte zu ganz neuen Materialien. Liest man nun im Katalog über das von ihm entwickelte geölte Papier, das lackierte Polyester, den Bambus für Bustiers und andere Versteifungen der Kleider, oder zuletzt über die Wollstoffe, die auf einer alten Strickmaschine entstehen und mit Gold- oder Silberfolien laminiert werden, bekommt man geradezu Appetit auf diese Stoffe. Zumal sie als Kleider federleicht daherkommen.

Neben ihrer sichtbarn Leichtigkeit ist ihre selbsttragende Steifheit auffällig, die von einer Plisseetechnik herrührt, die selbst der berühmteste aller Stofftechniker, Mariano Furtuny, bewundert hätte. „Pleats Please Issey Miyake“ überschrieb der Designer seine Faltenforschung. Andere Kleider sind dagegen wiederum ausgesprochen lapprig und dabei merkwürdigerweise besonders anrührend. Sie wurden nämlich nicht längs gefaltet, sondern quer geschrumpft. Auch sie bestehen vom hohen Kragen bis zu den Fußspitzen der zu Schuhen weiterverlaufenden Strümpfe aus einem einzigen Stück Stoff. Radikal auf die Spitze getrieben hat Issey Miyake dieses Konzept in seiner neuesten Kollektion „Just Before“. Hier bekommt die Kundin eine Röhre aus Jerseystoff, auf der Linien aufgezeichnet sind. Schneidet sie den Stoff den Linien entlang auseinander, erhält sie Ärmel, Stulpen, Rock und Oberteil; je nachdem, welchen Linien sie folgt, hat sie ein jeweils anderes Modell.

„Als ich die „Pleats“ machte, dachte ich bei der Produktion meiner Kleider noch immer in Begriffen von Schnitt- und Nähkunst. Heute denke ich darüber nach, wie Kleider gebraucht werden“, sagt Miyake im Gespräch mit Hervé Chandès. „Im Gegensatz zu Begriffen wie ,Haute couture‘ oder ,Mode‘, die die Frage der Neuheit beinhalten, ist meine Arbeit eine langfristig angelegte Untersuchung.“

Issey Miyake: „Making Things“. Scalo/Fondation Cartier, Paris 1999, 171 Seiten, 6 Farb-, 27 s/w-Abb., 78 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen