: Flüssigstrümpfe und Klischees
■ Wie lustig sind 40 Jahre Westdeutschland? Eine Doku durchstöbert Archive (22 Uhr, Arte)
Weil Deutsche im Ausland unter dem Ruf schrecklicher Humorlosigkeit leiden, sind sie dazu verurteilt, unentwegt Lockerheit zu demonstrieren. Wenn etwas – jenseits der Klischees – typisch deutsch ist, dann das bundespräsidialamtlich angestachelte Bemühen, „unverkrampft“ zu sein. Ganz und gar locker und unverkrampft gibt sich jedenfalls Thomas Hausners dokumentarischer Kompilationsfilm „Made in Germany – Vierzig Jahre wunderbarer Westen“, den er als Gegenstück und „Westantwort“ (Hausner) auf seinen Kinofilm „Es lebe unsere DDR“ zusammengestellt hat.
Über zwei Jahre stöberte Hausner in deutschen, französischen, englischen und amerikanischen Archiven und interessierte sich dort für alles, was nach 1945 über „die Deutschen“ gedreht wurde. Dabei ging es ihm nicht um historische Großereignisse, sondern eher um das Nebensächliche, Alltägliche, das den jeweiligen Zeitgeist transportiert. „Ich wollte“, so gibt der Dokumentarist zu Protokoll, „eine Collage machen, die sich an kulturellen, modischen, politischen Strömungen orientiert, wie sie der Otto Normalverbraucher miterlebt beziehungsweise von den Medien präsentiert bekommen hatte.“
Einige schöne Funde sind darunter: Bilder vom Potsdamer Platz, der 1945 zum Freibad umfunktioniert wurde. Eine zerstörte Tiefgarage war mit Wasser vollgelaufen und so zum Badebecken mutiert. Oder die Errungenschaft „Flüssige Strümpfe“ in den Zeiten des Nylonmangels, die eine „perfekte Illusion“ entstehen ließen – erst recht, wenn sich die Damen mittels Augenbrauenstiften eine Naht auf die Waden malten. Sehr lustig auch die Haushaltsschulfilme aus den 50ern, in denen die, die kurz zuvor noch als Trümmerfrauen wirkten, an ihre häuslichen Pflichten erinnert wurden: „Angebrannte Schnitzel haben wir Männer nicht so gern.“ Oder Aufklärungsfilme aus den 60ern, in denen man einen älteren Herrn in weißem Kittel vor einer Schulklasse stehen sieht, um wiederholt das Wort „Geschlechtsverkehr“ zu intonieren.
Hausners Film arbeitet ohne eingesprochenen Kommentar. „Made in Germany“ ist ausschließlich aus Originalmaterial gebaut und gibt eine eigene Position allenfalls in der Materialanordnung zu erkennen. Doch nur selten gelingen subtile Schnitte wie der zwischen einem sehr frühen Grünen-Werbespot nach biederster 50er-Jahre-Persil- Machart und Nicole, die „Ein bißchen Frieden“ anstimmt. Durch die beiderseits benutzen Sonnenblumenmotive verliert man da kurz die Orientierung, wo eigentlich die Grünen aufhören und Nicole anfängt. Aber das hat durchaus seine historische Richtigkeit: Was ist von den Grünen denn geblieben als ein kleines bißchen Frieden? Weniger originell dagegen die Gegenüberstellung von Heino, der seine „Mutterplatte“ anpreist, und Rudi Dutschke, der mit geballter Faust die Internationale singt. Gegen Ende setzt sich dann immer stärker Udo Lindenberg durch, der sein Mädchen aus Ost-Berlin umarmt, und Nina Hagen spricht anläßlich des Mauerfalls von der „Reinkarnation der Deutschen“. Das Schlußwort aber gehört Helmut Kohl mit dem legendären Versprechen, daß es bald vielen besser gehen wird.
Das Bemühen, deutsche Geschichte aus „Wochenschau“-Berichten, Werbespots (vor allem und immer wieder: Volkswagen!) und Schlagertexten zu erzählen, wäre an und für sich durchaus lobenswert, wenn das Unternehmen nicht so videocliphaft an der Oberfläche bliebe und doch wieder nur die Klischees zutage förderte. Alles wird nur angetippt und muß unbedingt lustig sein: wenig Zeit für überraschende Sichtweisen und Aha-Erlebnisse. Statt einer eigenwilligen Geschichte der Bundesrepublik entsteht so bloß die die Kompilation einiger recht netter Funde aus den Archiven, statt einer profilierten Erzählung ein Sammelsurium ohne Biß und ohne eigene Haltung. Schade ums Material. Wahrscheinlich aber ein typisch deutscher Film. Jörg Magenau
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