■ H.G. Hollein: Zahnersatz
Die Frau, mit der ich lebe, ist um einen Zahn leichter. Den zeigt sie jetzt überall rum. Mit dem hübschen Goldkrönchen oben und dem kleinen Abszeß unten macht er durchaus was her. Ein bißchen geronnenes Blut ist übrigens auch noch dran. Nicht daß ich mich vor den Bestandteilen der Gefährtin ekele, aber ich scheue die mit dem demonstrativen Auswickeln verbundenen Forderungen nach Ersatz. In diesen Zeiten knapper Kassen will der Auftrag zur Implantation eines Kausurrogats immerhin wohlerwogen sein. Zumal die gerissene Lücke diskret im hinteren Oberkiefer ragt. Meinem Vorschlag, das anstehende Dentistenhonorar lieber zugunsten einer Urlaubswoche in Paris prioritativ herabzustufen, wurde allerdings nicht der erhoffte positive Respons zuteil. Die Gefährtin will eben immer alles haben. Und überhaupt: Wenn ich mich schon bei einem Zahn so anstelle, wie würde sie dann erst in ein paar Jahren aussehen? Den Hinweis, daß selbst ein so großer Mann wie George Washington im Alter seine Kartoffeln mit einem Gestell aus eingeritzten Walfischknochen gemümmelt habe, hätte ich vielleicht besser unterlassen. Und die Bemerkung, daß der Verlust von Zähnen in der freudschen Traumsymbolik als Zeichen der Kastrationsangst eindeutig männlich besetzt sei, verfing auch nicht so recht. Selbst mit dem Argument, daß sie – und auch noch kostenneutral – bereits auf halbem Weg zu einer Wangenpartie à la Marlene Dietrich sei, konnte ich das kosmetische Wollen der Gefährtin nur bedingt bremsen. Letzlich nahm ich zu der Versicherung Zuflucht, ob mit oder ohne Zahn, die Gefährtin bliebe stets ein steiler solcher. Trotzdem hat sie nächste Woche ihren ersten Termin zum Anpassen.
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