: Kopfstuhl als Wiederholungstäter
■ Beklemmung am Oldenburgischen Kleinen Haus: „relÛche noir“, ein Dada-Ballett
Aufgezogene Puppen an einer Drehorgel, deren Pfeifen manchmal leiern. Zahnradgetriebene Wesen, deren Bewegungen mechanischen Konzepten folgen, vorhersehbar – und stets am anderen vorbei. Mit „relÛche noir“ der Schweizer Compagnie Drift wurde die Bühne des Oldenburgischen Kleinen Hauses zu einer dadaistischen Wunderkiste, in der die Bezie-hungswege der modernen Menschmaschine zu autistischen Ritualen verkommen.
Ein absurdes Panoptikum spinnen Beatrice Jaccard, Peter Schelling, Massimo Bertinelli und Ivan Wolfe hier aus dem Dada-Ballett relÛche von Eric Satie und Francis Picabia. Grelles, weißes Seitenlicht erhellt die Gesichter gespenstisch, Farben werden giftig, und die Szenerie erinnert an ein Dixsches Tableau, das mit der Pianobegleitung (Bearbeitung: Claudia Ruegg) laufen lernt. Die vier Tänzer erschaffen ein groteskes Szenario, und die uhrwerkartige Präzision ihrer parabanalen Körpersprache läßt tatsächlich den Text zum Bild lebendig werden. Moderne Zeiten, in denen eine Frau sich in einen Lampenständer verwandelt. Und folgerichtig brunftartiges männliches Begehren zu selbstbezogenen Spasmen implodiert. Untertitel: „Wie komme ich bloß an sie ran?“ Gar nicht!
Denn in diesem Film bewegen sich Männer und Frauen in stereotyper Weise nach präzisen Mustern – immer eine Spur aneinander vorbei. Das Zielgerichtete läuft entgegen seiner Intention zuerst ins Leere, dann in eine absurde Wendung: Der Kopf steckt plötzlich im Stuhl. Und dieser Kopfstuhl wird zu einem eigenen Wesen, zwanghaft.
Diese Wiederholungstäter scheitern so immer folgerichtig an der Tücke des Gegenübers, das sich wie ein aufgezogenes Spielzeug soeben gerade in eine andere Richtung bewegt. Der nahezu kindische Einfallsreichtum und das präzise Stakkato der Körpersprache lassen die Vorhersagbarkeit des Scheiterns nur zunächst komisch wirken.
Zunehmend bleibt mit relÛche noir ein beklommenes Gefühl der Vergeblichkeit zurück.
Marijke Gerwin
Ballett-Tage am Oldenburgischen Staatstheater: noch bis 15. April
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