: Wüste, Weite und Niemandsland
■ Ein schöner Traum mit Marimbas, Glockenspiel und Vibraphon – Calexico ist flirrende Luft vor einem unendlich fernen Horizont
Eine amerikanische Kritikerin hat über Calexico geschrieben, das Duo sei zum Glück unprätentiös, denn: „Wer braucht schon einen Haufen Angeber, wenn man in einer Sommernacht dem Sonnenuntergang zuhört?“
Angeber waren Joey Burns und John Convertino bestimmt nie, aber irgendwann war es sogar ihnen zu dröge, ständig im Hintergrund zu stehen. Also machten die beiden nach jahrelanger solider Rhythmusarbeit für andere dann doch noch ihre eigene Band auf. Als Dauermitglieder von Giant Sand und OP 8 hatte man sein Auskommen, Jobs für Barbara Manning, Vic Chesnutt, Victoria Williams, Richard Bruckner oder Lisa Germano kamen hinzu, die zwischenzeitlich gegründeten Friends of Dean Martinez hatte man schon wieder verlassen.
Als Calexico begannen sie wahrzunehmen und wiederzugeben, was um sie herum stattfindet, wohnen sie doch im Barrio Viejo von Tucson. Nun kreuzen sich Latin-Rhythmen sanft mit einem gerührten Schlagzeug, wecken Marimbas, Glockenspiel und Vibraphon schattenhafte Erinnerungen an Country, TexMex und Jazz. Das Ergebnis ist ein fast schon unwirklich schöner Traum von Wüste, Weite und Ödnis, vom Niemandsland zwischen Kalifornien, Texas und Mexiko, von staubigen Highways und unaufgeräumten Cantions, von flirrender Luft vor einem unendlich entfernten Horizont.
Man möge es doch „Gringo-Rock“ nennen, empfahl die Lokalzeitung in Tucson, aber die Kunst der beiden besteht wohl darin, diese Klischees zum Klingen zu bringen, ohne klischeehaft zu klingen. Sie schaffen das, jedenfalls für uns Mitteleuropäer. Nicht umsonst wurde ihr Debut „Spoke“ von einem kleinen deutschen Label zuerst herausgebracht. In dem Genre allerdings keine Seltenheit, auch Bands wie Hazeldine und Granfaloon Bus wurden zuerst hierzulande veröffentlicht und erst dann wieder in die Heimat reimportiert.
Als Calexico im letzten Jahr ihre zweite und bis heute letzte Platte „The Black Light“ veröffentlichten, versuchte die Musikpresse, das Werk als Bindeglied zwischen dem Postrock aus Chicago und dem ursprünglichen Wüstenrock-Hintergrund des Duos zu enttarnen, um nicht zugeben zu müssen, daß man eine so altmodische Platte einfach wunderschön finden kann. Kaum etwas hätte falscher sein können, verband Calexico mit Tortoise und deren Kollegen doch bestenfalls die Vorliebe für Instrumentals. Während die Post-Rokker versuchten, die Strukturen der elektronischen Musik auf eine klassische Rock-Instrumentierung zu übertragen, arbeiteten Calexico statt dessen an ihrer ganz persönlichen Version von Folk, Roots und Americana. Und die Instrumentals kamen hauptsächlich deswegen zustande, weil sich nach jahrelanger Backgroundwühlerei keiner der beiden hinter dem Mikrophon sonderlich wohl fühlt.
Schlußendlich geht es darum, dem Sonnenuntergang zuzuhören. Sollte dieser Sommer tatsächlich ein Sommer werden, kann man überprüfen, ob er sich wirklich so anfühlt, wie sich Calexico anhört. Thomas Winkler
Calexico spielt am Sonntag (11. 4.) um 20.30 Uhr im ColumbiaFritz, Columbiadamm 9 – 11
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