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Der Liebesgöttin Aphrodite auf der Spur

Wandern und Wohnen in den Bergen Zyperns: Abseits der Bettenburgen wohnen die auf Muße erpichten Gäste in schindelgedeckten Häusern und schlemmen abends in windschiefen Tavernen. Hauptquartier der modernen Dorfferien ist Tochni  ■ Von Imke Rafael

Ein Reitersmann sprengt auf einem schmalen Pfad über sattgrüne Hügel; am Wegesrand blüht Heidekraut, das die Bergkuppen mit einem maulbeerfarbenen Schimmer bis zum Horizont überzieht. Trällernd steigen Lerchen in den Sommermorgen, während von Ferne dunkel-grollend ein Gewitter heranrollt. Die Szenerie erinnert an eine mittelenglische Krimilandschaft. Doch die Hügelketten sind die Ausläufer des Troodos, des höchsten Gebirges auf Zypern, und der Mann hoch zu Roß ist Sofronios Potamitis, ein waschechter Bewohner der Levante.

Er stöbert nach alten Schäferpfaden, die die Insel seit Jahrhunderten kreuz und quer durchziehen. Einsam müssen sie sein und trotzdem leicht begehbar: Seit zwölf Jahren organisiert er hier Wandertouren für lärm- und mitmenschengeschädigte Aktivurlauber – im Landesinneren Zyperns läuft ihnen höchstens mal eine meckernde Bergziege über den Weg. Abseits der großen Hotel- und Bettenburgen wohnen die auf Muße erpichten Gäste in schindelgedeckten Häusern und schlemmen abends in windschiefen Tavernen. Der 36jährige gilt als einer der Pioniere des Agrotourismus auf der Insel. Mit diesem Konzept knüpft er an die britische Vergangenheit der Insel an, die von 1925 bis 1960 englische Kronkolonie war: Gleich nach der Machtübernahme verzogen sich die Engländer „mit Kind, Kegel und Akten“ auf die kühlen Höhen des Troodos und legten Wanderwege in den schattigen Zedernwäldern an.

Das Hauptquartier der modernen Dorfferien hat Sofronios in seinem Heimatort Tochni aufgeschlagen; der Ort liegt nur 25 Kilometer entfernt von der lärmenden Hafenstadt Limassol, dem Tor zum Nahen Osten. Buckliges Katzenpflaster führt durch Tochni, das ein kleiner Fluß in zwei Teile trennt: Die eine Seite ist griechisch, auf der anderen lebten einst die türkischen Zyprioten – bis der Nordteil der Insel 1974 von der Türkei besetzt wurde. Danach zog die muslimische Bevölkerung in den Norden, ihre Häuser verfielen. Sofronios, Sohn wohlhabender Hotelbesitzer, hatte in den USA Marketing und Wirtschaft studiert, das wirtschaftliche Potential der verlassenen Höfe blieb ihm nicht lange verborgen. Und so säumen jetzt schmucke Steinhäuser das Flußufer, und Sommerfrischler sitzen im Kafenion gegenüber der Kirche. Nach der Siesta kommt Kostas, der Pope, plaudert mit den Bewohnern und verschwindet im kleinen Gemüseladen, wo er aus der zerknüllten Zeitung von vorgestern die Lottozahlen abschreibt.

Hier, auf dem Marktplatz, beginnt auch Sofronios Lieblingswanderung ins 20 Kilometer entfernte Vasa. Doch viel Zeit hat er dazu nicht mehr – Dorfferien in Zypern werden immer beliebter: 15.000 Deutsche sind im letzten Jahr gekommen.

Von einer Anhöhe aus deutet er auf einen Pfad, der sich gut sichtbar durch einen violetten Teppich von Lavendel mäandert; überall duftet es nach Thymian, der die weiße Kalksteinerde bedeckt. Sofronios klaubt mißmutig einige schwarze Plastiktüten und leere Plastikwasserflaschen vom Wegesrand und beklagt das mangelnde Umweltbewußtsein seiner Landsleute. Ein geschäftsschädigender Kontrast zu seinem Konzept vom „sanften Tourismus“. Zu seinem Leidwesen sind die Zyprioten auch noch leidenschaftliche Jäger: Überall liegen grüne, gelbe und rote Plastikhüllen der Jagdpatronen. Auch die Vogeljagd ist sehr beliebt; jedes Jahr werden rund vier Millionen Singvögel mit Leimzweigen gefangen – in Marinade eingelegt, sind sie eine Delikatesse. Immerhin ist der Vogelfang mit geleimten Ästen inzwischen verboten.

Nach zwei Kilometern bergauf und bergab hat Macchia den Weg teilweise überwuchert; wir müssen durchs Unterholz kraxeln. Als wir endlich eine Lichtung erreichen, erstreckt sich vor uns ein Stausee. Wir erreichen das verlassene Dorf Drapia. Steinruinen ragen gespenstisch zwischen Ginstersträuchern hervor. Das Dorf hat noch einen Bewohner: Eine alte Dame um die 90, bis vor kurzem noch Schafhirtin und seit jeher keine große Menschenfreundin, hat sich hierher zurückgezogen. Ganz in der Nähe hat sich auch Sofronios sein Häuschen zwischen Orangenhainen gezimmert: Hier lebt er mit seiner Familie, Hunden, Katzen und drei Pferden; zwei Solarzellen genügen für Heizung im Winter, Wäsche und Warmwasser. Das paradiesische Nest muß er jedoch fast jeden Abend verlassen. Dann findet man ihn in der neu eröffneten Tochni Taverne, hoch über den Dächern des Dorfes: Hier werkelt jeden Abend eine andere Hausfrau – Stifado, Couscous, orientalisch angehauchte Spezereien und griechische Salate, Schweinebraten und süße türkische Desserts werden serviert. Auf Anweisung Sofronios schöpfen sie jedoch das Olivenöl nach dem Braten ab, ganz nach den neuesten ernährungsphysiologischen Erkenntnissen. Zum Dessert verschenkt er an seine Gäste dickschalige Orangen, inklusive Stengeln und Blättern. Ganz anders hingegen die Taverne am Marktplatz, wo nach alter Väter Sitte getafelt wird; Meze zum Beispiel: rund 20 verschiedene Speisen, vom Kabeljaurogen- dip über Kebab bis zum Lamm, werden aufgetischt. Zum Abschluß gibt es vom Wirt ein Gläschen zypriotischen Port, den Commandaria, einst von den Kreuzrittern eingeführt und heute bekanntester alkoholischer Exportartikel. Jede Tafelrunde dauert mindestens drei Stunden. Das kollidiert mit der Wanderlust: Das Ehepaar aus Hannover, seit einer Woche in Tochni, ist daher erst einmal mit Rucksack und Wasserflasche losgezogen. Dafür stecken sie uns ihren Geheimtip vom letzten Urlaub, den Kyparissatrail. Den suchen wir am nächsten Morgen. Vergeblich. Eine Meldung von Sofronios, und gemeinsam werden wir fündig: Das Schild ist vom Wind umgekippt, und seit Monaten hat sich offebar hier niemand auf den Weg gemacht. Das hat natürlich enorme Vorteile: Der Trail gehört uns alleine, mitsamt Bergen, Seen und dem Duft aller Wildblumen der Insel. Kalabresische Fichten, goldene Zyperneichen und Erdbeerbäume spenden Schatten.

In der Ferne flimmert der große Salzsee von Akrotiri. Hier überwintern jedes Jahr 10.000 Flamingos; dahinter glitzert das Mittelmeer. Felder voller Klatschmohn wechseln ab mit karstigen Böden und der Macchia; in einem Oleanderzweig sitzt ein farbenprächtiger Bienenspecht. Der Abstieg windet sich durch blühende Zitronen- und Orangenhaine. Noch warm von der Sonne, schmecken die Früchte saftig und süß. Mittagspause im zehn Kilometer entfernten Vavla, einem Dorf mit 20 Einwohnern. Das jüngste Ehepaar ist in den 40ern, dann kommen gleich die Dorfältesten, alle so um die 80. Eines der schönsten Häuser, mit Blick auf die Kirche von Vavla und das grüne Tal gehört Madame Despina: Ein Kamin schmückt die Eingangshalle; große Himmelbetten verlieren sich im riesigen Schlafgemach, die Decken aus alten Holzbalken sind mit Lavendelzweigen behängt.

Der Nachbar, ein Zypriote mit weißem Kaiser-Wilhelm-Bart, ist nach 44 Jahren London zurückgekehrt. Jetzt will er im Heimatdorf seinen Lebensabend verbringen und lädt jeden vorbeikommenden Wanderer zum Drink nach Sonnenuntergang ein. Das ist, findet er, gute britische Sitte, und außerdem passiere hier sonst gar nichts.

Mehr los ist an der landschaftlich spektakulären Westküste, auf Akamas; Naturschützer wollen 155 Quadratkilometer zum Nationalpark machen. Die isolierte Halbinsel beherbergt viele seltene Pflanzen und Tiere: Die Karettaschildkröten, im übrigen Europa fast ausgerottet, kommen im Sommer an die menschenleeren Lara- Strände und legen dort in Vollmondnächten ihre Eier ab. Es gibt Wälder, Kliffs, weiße Strände und die Avgas-Schlucht, wo fast kein Sonnenstrahl eindringt.

Am Ausgang der Schlucht erwartet uns Almenromantik: Auf saftigen Wiesen, gesprenkelt mit Butterblumen, blöken Schafe. Die zypriotische Tourismusorganisation hat auf Akamas Wander- und Lehrpfade angelegt: An jedem Strauch und Baum sind Täfelchen angebracht, ein Begleitheft kärt den Wandersmann akribisch über Öl- und Johannisbrotbäume, Kopfthymian oder die Dornige Bibernelle auf. Der bekannteste Pfad ist der Aphroditetrail. Der gewundene Pfad führt entlang steiler Klippen, die einsame Badebuchten umschließen; glasklares Wasser spült auf weißen Sand. Kein Wunder, daß die Göttin der Liebe einst entschied, hier aus dem schäumenden Meer zu steigen. Danach spülte sie ihren Alabasterkörper mit Süßwasser – in der einzigen Quelle auf dem trockenen Land, die das ganze Jahr sprudelt. Dabei wurde sie von Akamas überrascht, der sich unsterblich – und unglücklich – in sie verliebte. Wer heute in das Bad der Göttin taucht, dem ist ewige Jugend beschert. Doch auch auf der „Insel, wo die Götter Urlaub machen“ – so der Slogan der Zypriotischen Tourismusbehörde – gelten irdische Regeln: Das Baden in der Quelle ist verboten

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