Ordentlich aufgeräumte Nischen

Seit wenigen Tagen ist die Gegend um den Ottenser Spritzenplatz kein Sanierungsgebiet mehr. Nach 20 Jahren städtischer Renovierung hält sich die Yuppiesierung in Grenzen. Eine Bilanz  ■ von Gernot Knödler

Noch hängt vor dem Saga-Haus in der Lobuschstraße ein Schild: „Das Amt für Stadterneuerung und Bodenordnung fördert diese Maßnahme mit öffentlichen Mitteln“ steht da unter dem Bauklötzchen-Logo der Hamburger Stadtentwicklungsbehörde (Steb). Doch das Renovierungsvorhaben gehört zu den letzten, die formell unter die Sanierung des Zentrums von Ottensen fallen. In der vergangenen Woche hat der Senat das Sanierungsgebiet „Spritzenplatz“ aufgehoben, nach etwas mehr als 20 Jahren.

Das Ende war längst überfällig, findet Ulf Spiecker, der das Gebiet seit 1994 für die Stadtentwicklungsgesellschaft (Steg) betreut. „Was man bis jetzt nicht bewegt hat, wird man auch künftig nicht bewegen können.“ Und getan wurde eine Menge: Seit 1978 sind 31,5 Millionen Mark Staatsknete in die Sanierung einer Fläche geflossen, die nur so groß ist wie ungefähr zehn Fußballplätze. Nach Angaben der Steb wurden mit dem Geld rund 300 Wohnungen und 25 Gewerbe-adressen modernisiert und 240 Wohnungen neu gebaut. Das Quartier erhielt zusätzliche Kinderspielplätze, Tagesstätten und Kindergärten, das Stadtteilkulturzentrum Motte Unterstützung, und der damalige Sanierungsbeauftragte des Bezirks Altona, Walter Seeler, suchte persönlich die besten Standorte für neue Bäume aus.

Dabei sollte ganz Ottensen ursprünglich einmal abgerissen werden. Als eines von wenigen Gebieten in Hamburg hatte das Arbeiterviertel mit dem krakeligen Grund-riß eines Bauerndorfes den Zweiten Weltkrieg praktisch unzerstört überstanden. Doch was die Bomben nicht schafften, erreichte die Stadt. Diagonal durch den Stadtteil plante sie die Schneise für einen vierspurigen Autobahnzubringer. Ein Drittel Ottensens hielten die PlanerInnen lange Jahre als Standort für eine „City West“ analog zur „City Nord“ vor – mit dem Effekt, daß kaum ein Gebäudeeigentümer mehr investierte. Noch Ende der 70er Jahre waren 70 Prozent der Wohnungen ohne Bad, 25 Prozent ohne Klo, und 60 Prozent hatten Ofenheizungen. Das Viertel verfiel. Industrie und Gewerbebetriebe zogen weg oder machten dicht – es entstanden Freiräume für eine vielfältige Hinterhofkultur.

Doch an den großkotzigen Plänen des Senats entzündete sich Widerstand. Es gründeten sich BürgerInneninitiativen wie die Aktionsgemeinschaft Ottensen – bis zu 100 BIs soll es in Ottensen gegeben haben. An die Stelle von Abriß und Autobahnzubringer trat allmählich die Vorstellung einer Sanierung unter dem Motto „Erneuern statt zerstören“.

1978 legte der Senat das Gelände um den Spritzenplatz als Sanierungsgebiet fest. 1991 wurde das benachbarte Osterkirchenviertel zum zweiten Sanierungsgebiet in Ottensen erklärt. Für die Haus- und GrundstückseigentümerInnen bedeutete das zunächst Beschränkungen: So werden in Sanierungsgebieten zum Beispiel Bauanträge daraufhin überprüft, ob sie mit den Zielen der Sanierung vereinbar sind. Der Kaufpreis für Grundstücke muß von der Verwaltung genehmigt werden. Auf diese Weise soll der Bodenspekulation Einhalt geboten werden. Andererseits stehen Boden- oder HausbesitzerInnen in Sanierungsgebieten auch besondere Möglichkeiten offen. Die Stadt hat Förderprogramme für förmlich festgelegte Sanierungsgebiete aufgelegt. Wer sie in Anspruch nimmt, muß sich allerdings für eine gewisse Frist mit geringeren Mieteinnahmen begnügen.

Trotz dieser Offerten erzeugte das Sanierungsverfahren viel Skepsis. KritikerInnen befürchteten ein gnadenloses Entkernen und Sterilisieren der Hinterhöfe. „Angriff auf die Seele des Stadtteils“ titelte die taz hamburg Anfang 1985, als im überarbeiteten Erneuerungskonzept für das Gebiet Spritzenplatz vorgeschlagen wurde, den alten Gewerbehof „Mottenburg“ abzureißen. In den leerstehenden Gebäuden versuchten legale MieterInnen und BesetzerInnen die Symbiose von Wohnen und Arbeiten. Heute steht in der Mottenburger Straße ein großes Wohnhaus aus Klinkerstein, dessen einer Flügel in den Hinterhof ragt. Dort liegt eine grüne Wiese mit Bäumen und Buddelkiste, dahinter zwei alte Gewerbegebäude mit großen Gitterfenstern.

Über Zahlen, wieviel vom Gewerbe mitten in Ottensen übrig geblieben ist, verfügt der Gebietsbetreuer Ulf Spiecker zwar nicht. Er verbucht es aber als Erfolg für seine Arbeitgeberin Steg, daß es gelungen sei, die ortstypische Mischung aus Wohnen und Arbeiten zu erhalten. Der Blick in den jüngsten Übersichtsplan zum Erneuerungskonzept gibt ihm recht.

In klassischen Sanierungsgebieten, kritisiert Spiecker, richte sich der Blick noch immer zu sehr „auf baulich-räumliche Mißstände“ der Gewerberäume, Häuser und Wohnungen. Es habe sich aber gezeigt, daß die Betriebe in den kleinen Räumen eine wichtige Rolle im Quartier spielten. Sie bieten den BewohnerInnen Arbeitsplätze und gleichzeitig Angebote vor Ort.

Auch die bunte Mischung aus ganz unterschiedlichen BewohnerInnen ist Ottensen offenbar erhalten geblieben: „Wir haben nach wie vor Sozialhilfeempfänger und den sehr gut verdienenden Rechtsanwalt“, sagt Spiecker. Man „kann nicht sagen, daß es allen Leuten dort gut geht“, formuliert es Tobias Behrens, bis 1992 Geschäftsführer des Stadtteilkulturzentrums Motte und heute beim alternativen Sanierungsträger Stattbau arbeitet. Nach wie vor gebe es einfache Wohnungen und verdeckte Armut im Viertel. „Rund 25 Prozent der Altbauwohnungen in dem Sanierungsgebiet sind noch sanierungsbedürftig“, schätzt Steb-Sprecherin Ina Klotzhuber.

Wie das Statistische Landesamt ermittelte, waren 1997 zwischen zehn und zwölf Prozent der erwerbsfähigen AnwohnerInnen am Spritzenplatz arbeitslos, zwischen zehn und vierzehn Prozent erhielten Geld vom Sozialamt. Die Wahlbeteiligung lag mit 65 bis 69 Prozent im oberen Mittelfeld. Mehr als jedeR vierte EinwohnerIn war AusländerIn.

Trotzdem sagt Behrens: „Eine Schicki-Mickisierung hat es auf jeden Fall gegeben.“ Vielen alte Leute starben, aus StudentInnen wurden gut verdienende AkademikerInnen, das vielfältige Abendprogramm und der Charme von Ottensen lockten ZuzüglerInnen an. „Nicht die Sanierung hat in Ottensen die Bevölkerungsstruktur verändert, sondern die Wohngemeinschaften, die WGs“, sagt einer, der schon lange im Stadtteil lebt. „Wenn jeder bereit ist, 500 bis 600 Mark für ein Zimmer zu zahlen, dann kann der Vermieter einiges verlangen.“ Dazu kommt das, was Tobias Behrens den „Mitnahmeeffekt“ nennt. Die öffentliche Förderung lockte private Investoren an, nicht nur im eigentlichen Sanierungsgebiet.

Was Sanierungsgebiet war und was nicht, läßt sich beim Gang durchs Viertel nicht unterscheiden. Ganz Ottensen wurde aufgewertet und damit auch für den Bau von Eigentumswohnungen attraktiv. Schon 1993 hatte die Zeitschrift Finanztest Ottensen als Standort mit Zukunft an die dritte Stelle unter 236 Stadtteilen in 18 deutschen Städten gerückt. Trotz der Mietsteigerungen hält aber auch Karin Aßmus von Mieter helfen Mietern die Aufwertung des Viertels für „an sich ganz positiv“.

Nach wie vor sei Ottensen ein klasse Stadtteil und ein beliebtes Wohngebiet für viele HamburgerInnen, bilanziert Ex-Motte Geschäftsführer Behrens. Im Nachhinein betrachtet, hält er die Sanierung für richtig: „Man kann solche Gebiete nicht sich selbst überlassen.“ Das Problem sei jedoch, „daß die Nischen verschwinden“. Die gerümpeligen Hinterhöfe mit ihrer Schattenwirtschaft, ihrem Leben an der staatlichen Aufsicht vorbei, kurz: mit dem, was solche Viertel für StudentInnen, WerbegrafikerInnen und WebdesignerInnen so interessant macht.