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London, Belgrad, Seattle

■ Die Internet-Ausgabe des jugoslawischen Senders B 92 ist umgezogen

Mit den Berichten über das jugoslawische Radio B 92 kam die Erinnerung: Beinahe jeden Sonntag saßen wir vor der elterlichen Musiktruhe, starrten gebannt auf das magische Auge und durchsuchten den „Äther“ nach Stimmen aus fernen Ländern. Mittelwelle war gut, das quärzte und pfiff nicht so schlimm wie Kurzwelle; auch gab es auf dem Schaub-Lorenz eine beleuchtete Skala, auf der die Stationen verzeichnet waren: London, Athen, Luxemburg, Budapest, Belgrad – man mußte diese Städte einfach nur einstellen. BBC London, erzählte mein Großvater, hatte er im Zweiten Weltkrieg heimlich gehört.

Heute gibt es Fernsehen und das Internet, und die BBC gehört zu den Sendern, denen man auch nicht mehr so recht trauen kann. Trotzdem ist sie immer noch um Klassen besser als ARD-Rechtsaußen Sigmund Gottlieb oder Karin „Nato“ Storch vom ZDF. Auch die Berichte der Kamerateams vor Ort sind mit Vorsicht zu genießen, denn an die Front (neudeutsch: in die Krisenregion) dürfen sie nicht. So bleibt ihnen nichts weiter, als täglich frische Flüchtlinge zu zeigen – oder sie verkaufen ungeprüfte Berichte aus zweiter Hand, die dann an den Schnittplätzen der Sender Nato-gerecht aufbereitet werden.

Doch was passiert wirklich? Wir erfahren es nicht – und das Vokabular von Nato-Sprecher, Kanzler und Kriegsminister wird dem Jargon der Wehrmachtsberichte aus dem Zweiten Weltkrieg mit jedem Tag ein bißchen ähnlicher. Und andere Quellen? Inzwischen hat Miloevic dafür gesorgt, daß man den unabhängigen Radiosender B 92 auch nicht mehr im Internet hören kann. Vorletzte Woche drang die Polizei in die Redaktionsräume ein und wies alle Mitarbeiter an, die Arbeit einzustellen. Der Direktor des Senders, Sasa Mirkovic, wurde seines Amtes enthoben und durch den regierungstreuen Aleksander Nikacevic ersetzt. Der will mit neuem Programm weitermachen und hat alle Mitarbeiter aufgefordert, wieder zur Arbeit zu erscheinen. Mit unabhängigem Rundfunk hat das dann freilich nichts mehr zu tun. Was vom alten Radio B 92 bleibt, ist ein 90-Sekunden-Trailer – anklickbar auf der Webseite des Senders (www.b92.net): Western-Musik aus der Marlboro-Werbung, untermalt mit Maschinengewehrsalven und Granatendonner. Dann folgt bombastische Eigenwerbung. Auch kommerzielle amerikanische Radiosender hätten das nicht besser hingekriegt. Am Ende gibt's eine salbungsvolle Ansprache von Ex-Direktor Mirkovic, in der er beteuert, daß es schon irgendwie weitergehen werde.

Wer gegen Miloevic ist, der ist für die Nato – das glaubten überforderte und verunsicherte Journalisten in den Agenturen und Sendeanstalten und verbreiteten die Mär vom kleinen und unbeugsamen Sender mitten im Bombenhagel. Sie übersahen dabei, daß sich der Web-Server des Senders längst nicht mehr in Belgrad befindet. Wer www.b92.net in den Browser eingibt, landet auf einem Rechner im sicheren Holland – bei xs4all, einer linken Gruppe, bei der auch die Zeitschrift Radikal beheimatet ist. Ein Test mit dem Internet-Werkzeug „Traceroute“, das den Weg der Verbindung genau aufzeigt, beweist das. Und auch der Link auf den O-Ton führt nicht nach Belgrad, sondern landet bei „Progressive Networks“, einer Firma, die im fernen Seattle beheimatet ist.

War also alles nur ein riesiger Fake? Oder ein von CIA und Natogeschickt getarntes Propagandainstrument? Wahrscheinlich nicht, denn kurz bevor man B 92 den Hahn endgültig abdrehte, appellierte der Sender noch an die Nato, endlich mit der Bombardierung aufzuhören. Damit handelte sich der Sender internationale Kritik von links und rechts ein, unter anderem vom US-amerikanischen „Freedom Forum“ (www.freedomforum.org). Aber möglicherweise habe B 92-Chefredakteur Veran Matic habe den Appell auch nicht freiwillig gesendet, hieß es dort. Kein Gedanke daran, daß auch ein Miloevic-Gegner nichts von Bomben und Raketen wissen will – besonders, wenn er mittendrin sitzt. Dieter Grönling

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