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„Wieder so ein Religionsunfug“

Was ich der taz zum Dreißigsten wünsche (V): Die Redaktionskonferenz im zwölften Stock, ein üppiges Frühstücksbuffet, freche Jungredakteurinnen und ganz neue Zeiten  ■ Von Carola Rönneburg

16. April 2009: Es ist ein seltsames Gefühl, nach so langer Zeit wieder einmal im Lastenaufzug der taz festzustecken. „Der Fahrstuhl im Neu-Neubau funktioniert aber prächtig“, versichert mir Nele Krenz, einst Wahrheit-Schülerpraktikantin und heute taz-Hausanwältin, „da bist du in Sekundenschnelle im zwölften Stock.“ Schön, denke ich. Aber schließlich bin ich eingeladen, an der traditionellen Veteranen-Geburtstagsausgabe der taz mitzuarbeiten, und die Wahrheit-Redaktion befindet sich nun einmal nicht im zweiten Anbau am alten taz-Gebäude, sondern immer noch im „Rudi- Dutschke-Haus“. Von außen tritt jemand beherzt gegen die Tür, und siehe: der Aufzug bewegt sich doch, gemütlich rattert er der vierten Etage entgegen. Neugierig studiere ich die Aushänge am fahrenden Schwarzen Brett: „Wer hat meine Daniel-Bax-CD gemopst? Unbedingt wiedergeben, sonst Hausdurchsuchung! Pola Dobler“, lese ich. Und: „Ich protestiere gegen den Vorschlag der Grünen, Werbeflächen auf dem Mahnmal für die ermordeten Juden zu vermieten. Christian Specht.“

Wir steigen aus. Nele Krenz will den Presserat verklagen, „wegen einer lächerlichen Rüge, wieder so ein Religionsunfug“, ich will um die Ecke biegen, mein ehemaliges Büro ansteuern. „Nicht da lang“, sagt Frau Krenz. „Die Wahrheit- Redaktion ist jetzt gleich hier vorn.“ Tatsächlich, und ich staune: Das früher winzige „Zentrum der Macht“ macht sich heute in der früheren Kulturredaktion breit. Die amtierende Wahrheit-Redakteurin Theresa Dapp nimmt die Füße vom Schreibtisch und begrüßt mich freundlich. „Besser als damals, oder?“ fragt sie. „O ja“, antworte ich. Und denke auch: O ja. Denn wer hätte je gedacht, daß eines der damals jüngsten Wahrheit- Klubmitglieder (13) einmal zur taz stoßen und solche Arbeitsbedingungen vorfinden würde? „Wie, äh, geht's denn so?“ frage ich trottelig. Mademoiselle Dapp lacht: „Gut“, sagt sie und deutet in die Runde, „das sind meine Kollegen: Stefanie und Simon. Michaela ist gerade auf einem Termin.“ Ich muß mich setzen. „Ihr seid zu viert!“ Aber klar doch, sagt Theresa, schon seit zwei Jahren sei das so. „Drei Leute sind zuwenig für diese Seite, auch wenn man gute Autoren hat, so wie zu deiner Zeit. Aber jetzt erzähl mal: Was willst du in der Jubiläumsausgabe schreiben? Etwas über die alten Zeiten?“

Oha. Alte Zeiten? Wie wir damals mit eineinhalb Redakteurinnen täglich die Wahrheit auf die Beine stellten? Bloß nicht, nicht jammern. Bevor ich antworten kann, klingelt das Telefon. „Wir kommen“, höre ich Theresa sagen, und, zu mir gewandt: „Redaktionskonferenz. Laß uns gehen, dann kriegen wir noch etwas vom Frühstücksbuffet ab.“

Auf dem Weg in die Konferenz – jawohl, im zwölften Stock des Neu-Neubaus, und es dauert wirklich nur einen Moment, dorthin zu gelangen – treffen wir Inlandschef Stefan Kuzmany. Unrasiert und augenberingt, macht er nicht den besten Eindruck, aber er beruhigt mich: „Absurde Diskussion um die Wiedereinführung des Reinheitsgebotes. Nichts Schlimmes. Matthias Thieme und Iris Krumrei haben haben mich rechtzeitig nach Hause gebracht.“ Medien-Redakteurin Mauruschat biegt um die Ecke. „Ich mache Blattkritik und dich fertig“, brüllt sie dem zerstörten Biertester vergnügt in die empfindlichen Ohren. „Wie man so einen Schwachsinn drucken kann: ,Nahles, das kleinere Übel.‘ Weia!“ Sie erhält Unterstützung durch die Auslandsressortleiterin, Songül Cetinkaya. „À la lanterne!“ schallt es durch den Flur. Kuzmany stöhnt leise. „Und das am frühen Morgen“, schüttelt er den schweren Kopf. „Es ist elf Uhr dreißig“, erinnere ich ihn. „Früher mußtet ihr um halb zehn antreten.“ Ich nicht, ich konnte da noch nicht denken oder gar diskutieren, bis heute kann ich das nicht. „Halb zehn“, kreischt Theresa Dapp. „Und wann war Redaktionsschluß?“ – „Für die Wahrheit um ein Uhr“, antworte ich. Theresa gackert, und ich überlege kurz, ob ich beleidigt sein will. „Ganz ruhig“, sagt sie, „ich weiß schon: da gab es noch diese bescheuerte Druckerei.“ „Genau“, sage ich düster. „Und aktualisieren konntet ihr gar nicht, und ihr habt beschissen verdient, und die Auflage war kritisch, und es gab furchtbare Langweiler in der Redaktion, und ihr habt euch nichts getraut und ständig über die Besetzung der Chefredaktion nachgedacht und versucht“ – Theresa grient dreist – „eine brave, ordentliche Zeitung zu machen.“

Bei allem Respekt: das reicht. Wart's ab, junge Dame, denke ich, als ich den Konferenzraum betrete und die mir wild zuwinkende und offensichtlich immer noch schwer maliziöse Mitveteranin Häusler erspähe, ich habe da einige Texte im Gepäck – ha! Dir zeige ich noch, was eine Harke ist. Auch wenn du und deine Leute Schröder weggeschrieben haben.

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